Originally published in Kultur section, SonntagsZeitung, Zurich, September 19, 1999, pp. 59, 61.


Der Menschenpark nimmt Gestalt an

Die Kunst hat die Philosophie in der Gentech-Debatte schon längst überholt

VON EWA HESS

Horror. Ein Wesen mit zehn Armen, fünfzehn Köpfen, zwanzig Beinen wuchert im Raum. Ein Klumpen
hässlicher, unfertiger Klone, mitten in der Knospung stehen geblieben. Die skandalträchtige Skulptur der
englischen Künstler Jake und Dinos Chapman trägt den Titel «Zygotic Acceleration». Sie stellt den
Schrecken der gentechnischen Menschenveränderung bildlich dar.

Die Skulptur haben die beiden Horrorbrüder der englischen Kunstszene vor vier Jahren gemacht, lange
bevor die Debatte um die brisanten Worte des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk in der Presse
aufgeflammt ist. Der Streit um die sloterdijkschen «Regeln für den Menschenpark» hat die Frage nach der
möglichen Menschenzucht ins Zentrum der öffentlich Aufmerksamkeit gerückt. Aber auch dazu geführt, dass
sich die Philosophen jetzt die Köpfe über etwas zerbrechen, was der bildenden Kunst seit Jahren schon ein
Thema ist - die Beschaffenheit des neuen, genmanipulierten Menschen. «Die Künstler sind Vorläufer,
Seismografen der gesellschaftlichen Entwicklungen. Gerade die Vehemenz der Sloterdijk-Debatte zeigt doch,
wie wichtig die Beschäftigung der zeitgenössischen Kunst mit der Gentechnik war und ist», sagt Guido
Magnaguagno, Vizedirektor des Zürcher Kunsthauses.

Beschäftigung? Was man von der bildenden Kunst bisher zu sehen bekommen hat, gleicht eher einem
Menetekel. Der neue Mensch - wie ihn die Künstler zeigen - ist vor allem eins: monströs hässlich. Stümperhaft
geklontes Humanmaterial wie bei den Chapmans ist keine Seltenheit. Kleine Mädchen lächeln etwa perfid mit
eingesetzten Männermündern auf den fotografischen Montagen der Holländerin Inez van Lamsweerde.
Dumpfe Köpfe - Werke des Künstlers Aziz - haben keine Augen, um zu schauen, keine Münder, um zu
sprechen.

«Diese schrecklichen Bilder», sagt Gerfried Stocker, Leiter des renommierten Linzer Festivals Ars electronica,
«lösen einen Denkprozess aus. Ein solcher würde gar nicht in Gang kommen, wenn die Künstler Idealbilder
zeigen würden.» Auch Hans Danuser, ein Schweizer, der in seinen fotografischen Arbeiten wie der Serie
«Frozen embryos» die Praxis der Genforschung in nüchterne, fast dokumentarische Bilder bannt, ist von der
Mahner-Funktion der Kunst überzeugt: «Der Künstler stellt keine Regeln auf, im Gegenteil, er rüttelt an allen
Regeln, um auf diese Weise Platz für neue Fragen zu schaffen.» Der in San Francisco lebende Künstler
Anthony Aziz erklärt seine erschütternden Bilder gar zum Ausdruck des Mitleids: «Mitleid mit dem Echten zu
haben heisst, in der genauen Beschreibung unserer Ängste unbarmherzig zu sein. Mitleid ist nichts für
Zimperliche.»

Mitleid, Ermahnung, Moral. Etwas allerdings haben die ethisch hoch stehenden Künstler mit den ethisch
zweifelhaften Biotechnikern gemeinsam: Was machbar ist, wird gemacht. Und während die Gentechnik mit
der Perfektionierung der Implantationsmethoden, mit dem absehbaren Ende der Erforschung des
menschlichen Genoms in eine neue Ära der Machbarkeit eintritt, erobert auch Kunst ein für sie gänzlich
neues Medium: lebendes Zellmaterial.

Eduardo Kac will einen transgenen bunten Hund züchten

«Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit», sagt Eduardo Kac, ein in Chicago lebender Künstler,
«ist es uns möglich, Systeme mit Lebensformen zu kreieren, auf deren Erschaffung wir Einfluss nehmen.»
Kac arbeitet mit künstlichen Genen, die er Bakterien einpflanzt. Der Clou bei der Sache ist, dass dem Gen
ein Satz aus der Bibel einkodiert ist - bei der Zellteilung der Bakterien vervielfältigt sich das Bibel-Gen in
einem lebenden System. «Natürlich überschreite ich mit meiner Arbeit die Grenzen des konventionellen
Kunstverständnisses», gibt Kac zu, «ich mache das aber nicht ohne Grund.» Seine Botschaft? «Wenn wir
die neuen Techniken nicht lernen, sie nicht spielerisch selber erproben, liefern wir uns der Herrschaft der
Technokraten aus.»

Sloterdijk lässt grüssen: Auch er begibt sich (allerdings nur verbal) in die Nähe der Menschenzucht, um das
künftige Menschengeschlecht nicht den Technokraten auszuliefern. Bar jeder Berührungsängste plant Kac
schon sein nächstes Projekt: Er will einen transgenen Hund züchten, dem er ein grünes Fluoreszenz-Protein
ins genetische Material schmuggelt. Das Protein entnimmt er einer Qualle. GFP-K9 soll der bunte Hund dann
heissen. «Ich werde ihn einfach G rufen», sagt Kac, und fügt an, dass es sich bei GFP-K9 um ein «work in
progress» handelt: Seine Züchtung kann noch Jahrzehnte dauern.

Klone an der Schnittstelle von Kunst und Biotechnologie

Kac ist nicht der Einzige, der Interesse am genetischen Medium zeigt. Zwei andere amerikanische Künstler,
Karl Mihail und Kim-Trang Tran, haben an der diesjährigen Ars electronica ihr «Kreativ-Gen»-Projekt
vorgestellt. «An der Grenze zwischen der Biotechnologie, dem kapitalistischen Marketing und der Kunst»
wollen die Künstler ihre Arbeit angesiedelt wissen. Sie sammeln Haare von Menschen, die sie für besonders
kreativ halten. Sollte die Menschenzucht in absehbarer Zukunft in die Tat umgesetzt werden, können aus
den Haaren kreative und nicht langweilig unbegabte Klone gewonnen werden.

«Regeln für den Menschenpark» fordert Sloterdijk. Wer soll sie bloss aufstellen? Die korrupten Politiker? Die
technokratischen Wissenschafter? Die unklar redenden Philosophen? Wer weiss. Künstler aber sollte man
auch nicht an den Drücker lassen. Ihr Spieltrieb ist einfach stärker als jede Vernunft.


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