Originally published in IASL online (Internationales Archiv fürSozialgeschichte der deutschen Literatur), 04.04.2000:http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion6.htm


IASLLektionen in NetArt


ThomasDreher

Telepräsenz:
Eduardo Kac und Ken Goldberg



EduardoKac (*1962, Rio de Janeiro) stellt "telepresenceart" 1993 als "an art based on the integration of telecommunications,robotics, new kinds of human-machine interface and computers" vor.Den Zweck dieser "integration" faßt Kac 1996 in einem Satz:

Telepresence art makes it clear thataction at a distance must be incorporated into the repertoire of elementsexplored by artists via networks (digital, analog, or a hybrid of both).(Ornitorrinco and Rara Avis...)

Ken Goldberg (*1961, Ibadan / Nigeria)bezieht sich 1997 in Telepistemologyon the World Wide Web auf Äußerungen Kacs (in Ornitorrincoand Rara Avis: Telepresence on the Internet), wenn er zwischen "virtualreality" als "purely synthetic sense-data lacking physical reality"und "telepresence" unterscheidet, formuliert aber - im Unterschiedzu Kac - "telepresence" nicht als immer auch "telecommunication"umfassend:

Telepresence presents sense-data that(1) claims to correspond to a remote physical reality and (2) allows theremote user to perform a physical action and see the results.

Goldberg ergänzt:

The WWW has the potential to bringtelepresence out of the laboratory.

Demnach gibt es eine Laborsituationder "telepresence" und eine öffentliche Partizipation an"telepresence" via World Wide Web. Ferngesteuerte Aktionen könnenin einer Laborsituation mittels verschiedener Weisen der Informationsübertragungstattfinden, während der weltweite öffentliche Zugang zu fernlenkbarenGeräten gegenwärtig mittels Internet möglich wird.


Installationsweisen

Ein Konzept für eine Telepräsenz-Installationsollte Angaben über die Art der Schnittstelle(n) für Beobachtungsoperationen,des Environments und der in ihm steuerbaren Geräte sowie überdie Informationswege zwischen Beobachterstandort und Environment enthalten.

Die Fernlenkung setzt eine Schnittstellevoraus, an der Daten über das Beobachtete (Output) verfügbarsind und Steuerbefehle (Input) eingegeben werden können. An Schnittstellenkönnen Beobachter Geräte in fernen Umgebungen steuern. Die Gerätereagieren in Echtzeit und melden ihren neuen Standort und Zustand. FerngesteuerteBeobachtungsinstrumente können in "telepresence art" Ziel,aber auch visualisierendes Mittel für die Ausführung von weiterenAktionen durch weitere Geräte oder Apparatfunktionen sein (Kac undGoldberg stellen sich unter >steuerbaren Geräten< vor allemRoboter mit Kameras vor).

Der Personal Computer als Schnittstelleund die Organisation des Internet mittels WWW sind heute selbstverständlichetechnische Möglichkeiten für Telepräsenz-Installationen.Für die Geschichte der "telepresence art" wurden die Erweiterungender Kapazitäten der im Internet verbundenen Rechner für Bildanimationen,die Entwicklung der Multi-User- und Bildübertragungsprogramme sowieder Technik von digitalen Videokameras entscheidend.


Telepräsenz-Installationen

Eduardo Kac und Eduardo Bennett begannen1989 mit der Ausarbeitung des Ornitorrinco-Projektesund stellten es Juli 1992 in Chicago auf der "SIGGRAPH ´92 ArtShow" zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor.

Beobachter konnten in Ornitorrincoin Copacabana über die Tasten eines Telefons am McCormick Placeeinen Roboter mit Kamera steuern, der sich in einem Environment bewegte,das in >The Electronics and Kinetics Area< in >The School of TheArt Institute of Chicago< installiert war. Die Einrichtung des Environmentsorientierte sich an der Größe des Roboters. Beobachter konntensich bei ihren Eingaben von Steuerbefehlen nicht an realen Maßen,sondern nur an Größendifferenzen orientieren.

Ornitorrincoin Eden ermöglichte es Beobachtern am 23.10.1994, sich in Seattleund Lexington in den Roboter in Chicago "einzuwählen" undihn gemeinsam zu steuern. Mittels CuSeeMe waren alle drei Orte überInternet miteinander verbunden.

TheMercury Project wurde von Ken Goldberg und Michael Mascha geleitetund mit einem Projektteam an der University of Southern California in LosAngeles ausgeführt. Ein Roboter mit Kamera und Düse war zwischen1.9.1994 und 31.3.1995 über Internet steuerbar. In einem Labor standein mit Sand gefülltes Terrarium, in dem Artefakte vergraben waren,die mit der fernlenkbaren Düse freigelegt werden konnten. Die Auswahlder Gegenstände geschah nach Kriterien, die Jules Vernes "Reisezum Mittelpunkt der Erde" (1864) vorgab. Besucher konnten sich ineinem Operator´sLog über den Zusammenhang der Objekte äußern. Ein Usergab sich am 22.10.1994 als "Arne Saknussen" aus und gab damiteinen Hinweis, daß er - als Einziger - den Zusammenhang zwischenden Objekten erkannt hat.

JosephSantarromana äußerte sein Mißfallen an der Installationvon "The Mercury Project": "It seemed totally predestined,like a computer game." Durch Santarromanas und Goldbergs Plan, denSandkasten von "The Mercury Project" in TheTelegarden durch einenbepflanzbaren Erdtrog zu ersetzen, wurde "something without apredeterminated outcome" eingeführt.

TheTelegarden wurde ebenfalls an der University of Southern Californiamit einem Projektteam entwickelt; im Juni 1995 war sein Roboter zum erstenMal über Internet lenkbar. Die Installation ist seit September 1996im Erdgeschoß des Linzer Ars Electronica Center ausgestellt. IhrRoboter ist bis heute online steuerbar.

In der Mitte eines runden Erdtrogessteht ein Roboter mit einer Kamera sowie Einrichtungen zum Pflanzen undBewässern. Über die Telegarden-Websitekönnen User den Roboter und mit ihm die Kamera bewegen. Sie könnensich so ein Bild vom aktuellen Zustand des Gartens machen.

Bewässern ist über einenKlick auf einen Button möglich. Pflanzen dagegen wird erst nach hundertHits auf der Website zugelassen, sofern im Trog noch Platz für weiterePflanzen ist. Der Roboter gräbt dann mit einem kleinen Metallfußein Loch, legt ein Samenkorn ein, bedeckt es mit Erde und bewässertdie Pflanzstelle.

Vorteile von " Telegarden"sind die Einfachheit der Idee und die Haltbarkeit unter Dauerbetrieb, seinNachteil liegt in der Zugangsbeschränkung als Folge des begrenztenAreals. Über eine Website kann zwar der Zugang zur realen Welt ortsungebundenwerden, doch muß sich die Internet-Kommunikation den Bedingungeneines Ortes mit begrenzter Ausdehnung und der Dauer biologischen Wachstumsfügen.

Kac beschreibt Teleportingan Unknown State als "a biotelematic interactive installation."Am 21.7.1996 setzte er einen Samen in ein Beet, das in einem abgedunkeltenRaum in New Orleans installiert war. Der Samen in der für "TheBridge" (SIGGRAPH `96 Art Show) bis 9.8.1996 eingerichteten Installationerhielt Licht über einen Projektor. In Chicago, London, Rio de Janeiro,Sydney und Tokio richteten anonyme Teilnehmer digitale Kameras zum Himmel:

The photons captured by cameras atthe remote sites were re-emitted through the projector in the gallery.

Während der Ausstellung wurdedie wachsende Pflanze von einer Kamera aufgenommen und im Internet in Echtzeitpräsentiert.

Kac trennt in "Teleporting anUnknown State" die Aktionen, die etwas Vorzeigbares hervorrufen, vomVorzeigen. Die Telepräsenz ist eine zweifache: eine der Zusammenführungvon Lichtquellen (aus verschiedenen Aktionsorten) und eine der Präsentation(des Vorzeigens) des Beleuchteten.

In Uirapuru(ICC Biennale `99, InterCommunicationCenter, Tokio, 15.10.-28.11.1999) koordinierte Kac zwei parallele Welten,eine Installation in einem Ausstellungsraum mit einer VRML-Animation: "Uirapurumerges virtual reality with telepresence on the Internet." In beidenWelten gab es Baum- und Singvogel-Adaptionen, wobei letztere ihre Stimmenlive aus dem Amazonas erhielten, und zwei Fisch-Adaptionen.

Die Häufigkeit, in der die Stimmender Singvogel-Adaptionen zu hören waren, hing von "the rhythmof global network traffic" ab:

The ping command operates by sendinga packet to a designated address and waiting for a response. It is usedto monitor round-trip travel time and as such is a direct measurement ofcurrent Internet traffic.

In Kacs Variante wurde aus der mythischenGestalt "Uirapuru" und dem gleichnamigen Amazonasvogel ein fliegenderFisch. In der Installation im InterCommunicationCenter bestand der Fischaus einem mit Luft gefüllten Körper mit Kamera und konnte durchFührung eines weiteren fischförmigen Objektes gelenkt werden:"When participants control it at the telepresence station, Uirapuruflies accordingly in the gallery." Die Bewegungen von Uirapuru inder realen Installation wurden von "sonars" (Abkürzung für"sound navigation and ranging") registriert und die registriertenDaten dienten in der VRML-Station zur Simulation der realen Bewegung.

In der VRML -Station begegneten fischförmige"fliegende" Avatare, die User als ihre Vertreter in der virtuellenWelt wählen konnten, der virtuellen Uirapuru-Version.

Vom "virtual portal" konnteder Website-User in das "telepresence portal" wechseln. Auf derWebsite, die auch im Ausstellungsraum über ein Terminal zugänglichwar, waren die Aufnahmen der Kamera in der realen Uirapuru-Version zu sehen.

In RaraAvis (28.6.-24.8.1996) ließ Kac Kameras hinter den Augen einerVogelattrappe installieren. Die Attrappe war in einem Käfig mit kleinenVögeln untergebracht. Durch ein Sichtgerät konnten Besucher derInstallation die Kamerabilder verfolgen und auf diese Weise von einem käfigexternenStandpunkt einen käfiginternen Blickpunkt einnehmen. Außerdemkonnten Besucher die Kamerabewegung steuern. Waren in "Rara Avis"Steuerungsfunktionen für die Kamerabewegung von zentraler Bedeutung­ wobei die Bilder auch über Internet zugänglich waren ­wurde in "Uirapuru" die Kamera zum Nebeneffekt, da die Koordinationzwischen Bewegungen in der Installation und in Simulationen der VRML-Stationohne Kameraaufnahmen geregelt wurde.

Verglichen mit Goldbergs "Telegarden"und Dislocation of Intimacy (1998,mit Bobak Farzin) haben alle Installationen von Kac den Nachteil, daßsie zeitlich begrenzt und nach den Ausstellungen im Internet nur noch dokumentierbarsind. Der Nachteil ist in "Uirapuru" eine Folge des Vorteils,auch die Besucher im Installationsraum aktivieren und deren Aktion an diesimulierte Installation der VRML-Station rückzukoppeln zu können,während Goldberg die Besucher im Linzer Ars Electronica Center die(über User der Website gesteuerten) Roboterbewegungen nur passiv beobachtenläßt.

Kac hat ungleich konsequenter als GoldbergAspekte der Telepräsenz eruiert. Goldbergs Installationen und Netzprojektenach "Telegarden" und nach seiner Arbeit als Assistant Professorfür Computer Science an der Universityof Southern California (1991-95) wirken uneinheitlich und weisen sehrunterschiedliches Niveau auf. Konzeptuell überzeugen d. A. die jüngstenProjekte Goldbergs - Mori:An Interface to the Earth (1999) und Ouija2000 (2000) - nicht, während Kac mit "Uirapuru" einKonzept realisierte, das in den "Ornitorrinco"-Projekten undGoldbergs "Telegarden" angelegte Aspekte zur Relation zwischenTelepräsenz und Telekommunikation durch die Koordination der Installationmit einer virtuellen Parallelwelt konsequent weiter entwickelt.


Theorieder Telepräsenz

Kac und Goldberg schaffen mit ihrenTelepräsenz problematisierenden und über Internet beeinflußbarenInstallationen Modelle, in denen von Multimedia ermöglichte Beobachtungsweisenund Weltbildkonzepte zu koordinieren sind.

Beide Künstler/Wissenschaftlerinterpretieren ihre Modelle unterschiedlich. Während Kac primärvon einer kognitiven Weltbildkonstitution ausgeht, in der Unterschiedeund Beziehungen in der Weise maßgebend sind, wie sie durch Medienerkennbar werden, bleibt für Goldberg die Frage nach der Übersetzungrealer Distanzen in medienbestimmte Beobachtung zentral. Goldberg willeine skeptische Beobachterhaltung provozieren und "telepistemology"als "last refuge of realism" (Telepistemologyand The Aesthetics of Telepresence, 1997) ausweisen:

The recurring question "How doI know this is real?" suggests a Turing Test for epistemology. Thismay be the last refuge for realism.

In "Telegarden" wird diein Größenrelationen und Wachstumsformen nicht beliebig transformierbareund irreversibel sich entwickelnde Pflanzenwelt zum >Platzhalter<für Fragen nach einer medienexternen Realität, während dieim Internet erkenn- und beeinflußbaren Lichtspiele von ShadowServer(1997, mit Bobak Farzin) und Dislocationof Intimacy sich in Kästen abspiel(t)en, die zwar ausstellbarsind (bzw. waren), dann aber Ausstellungsbesuchern den Zugang zu ihrenInnenräumen verweigern (bzw. verweigerten). Bezugspunkte zu realenGrößenverhältnissen kann (bzw. konnte) der Besucher imSchattenspiel der Lichtkästen nicht entwickeln.

Kac verweist in Beyondthe Screen: New Directions in Interactive Art (1998) auf Goldbergs"ShadowServer" und dessen Antizipation durch Nathan Bernard Lerners(*1913) "Light Box" von 1938. Kac erwähnt mit Lerners "LightBox" einen Vorläufer aus dem Chicagoer Umfeld von Laszlo Moholy-Nagy.

Lerner weist 1938 auf die Bedeutungdes Ausschlußes von werkfremdem Licht, um Lichtspiele realisierenzu können (Hahn, Peter / Engelbrecht, Lloyd C.: 50 Jahre New Bauhaus.Bauhaus-Nachfolge in Chicago. Kat. Ausst. Bauhaus-Archiv, Museum fürGestaltung, Berlin 1987, S.156, vgl. S.77,258). Goldberg schließtmit dem Abschluß des Kastens und der modifizierbaren Innenbeleuchtungan Lerners Relation von In- und Exklusion an: Die Exklusion werkexternenLichtes erlaubt eine von Außenlicht unbeeinflußte Inklusionvariabler Lichtquellen.

Goldbergs Low Tech-Telepräsenz-Installationen"ShadowServer" und "Dislocation of Intimacy" fördernKacs Ansatz, nach dem Beobachter "mental maps" der überTelepräsenz vermittelten Environments konstruieren, nicht aber realeVerhältnisse rekonstruieren können. Nach Kac entwickelt jederBeobachter in "mental maps" seine eigene Vorstellung:

Each "map of the visible"that results from experience is, therefore, unique in its difference topaths explored by other participants. Each mental map is particular toeach experience, which is to say that each participant forms a differentconception of the actual space. (TelepresenceArt)

Kacs Ansatz wäre zu hinterfragenauf Konstruktionsweisen von Weltbildern, in denen kognitive Operationsweisenoffensichtlich ­ als Folge von natur- und / oder kulturbedingtem Lernverhalten­ nicht differieren.

Kac zeigt bereits 1993 in TelepresenceArt, daß die Suche nach "Maps of the World", nach verbindlichenreferentiellen Zeichenfunktionen ­ wie sie später auch Goldbergnoch betreibt ­, nur wieder zu "map[s] of the map" (Foerster,Heinz von / Pörksen, Bernhard: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.Heidelberg 1998, S.82f.) führt. Zentral ist für Kac ­ imUnterschied zu Goldberg ­ nicht die Eruierung von "scale"und "distance", sondern die Zeitdimension in Weltbeobachtung:

The subordination of the three-dimensionalbodily space to real time is a process of abstraction that continuouslyblurs the distinction between images and reality...perhaps, all "presence"is somewhat removed, remote, caught in an oscillation between presenceand absence...The participant only gains access to the space [in "Ornitorrincoon the Moon" (1993)] through pictures he or she gathers while movingtelerobotically in real time.(TelepresenceArt)

Oswald Wiener weist darauf hin, daßWeltbeobachtung nicht als abbildhaft Details im Gedächtnis wiedergebende,sondern als laufend (re-)focussierende und wiederkehrende Merkmale zu "Wendemarken"verdichtende Operationsweise anzusehen ist (Wiener, Oswald: Probleme derkünstlichen Intelligenz. Berlin 1990, bes. S.24f.,33f.,37ff.). Wienererklärt so einen Grundzug von Weltbeobachtung und läßtdie Variabilität individueller Beobachtungsweisen so unbegrenzt wiemöglich. Gegen Goldbergs Suche nach "the last refuge for realism"liefern Kac und Wiener durch die Auseinandersetzung mit der Zeitdimensionin Weltbeobachtung Argumente, die den informationsverarbeitenden Prozeßals Weise der Welterzeugung (Goodman, Nelson: Ways of Worldmaking. Indianapolis/ Cambridge 1978) hervorheben.

Beobachtung wird als informationsschaffenderProzeß ausgewiesen, in dem Weltbildkonzepte konstituiert, angewandt,geprüft und modifiziert werden. Fragen nach der Wiederbelebung desRealismus können vor diesem Hintergrund nur zu abstrakten Argumentenführen, wie weit es zwingend ist, auch bei informationsschaffendenBeobachtungsprozessen von der Vorstellung einer diesen externen Welt auszugehen.


Dr.Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München.

Ins Netz gestellt am 04.04.2000.

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