The esssay "Das Internet und die Zukunft der Kunst", by Eduardo Kac, was originally published in the book Mythos Internet, Stefan Muenker and Alexander Roesler, editors, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 1997, pgs. 291-318 (in German only, with translation by Alexander Roesler). The original version of the essay was written in 1994, when the Internet first became widely accesible due to the development of the World Wide Web protocol and the creation of the first Web browser. In 1996 the essay was slightly expanded and modified to include some recent works. Shorter versions of this article were published in English as follows:

Kac, E., "Interactive Art on the Internet", Wired World, Proceedings of the Ars Electronica Symposium, Peter Weibel, editor, 1995, pgs. 170-179 (in English and German).Kac, E., "Internet Hybrids and the new aesthetic of worldwide interactive events", Siggraph Visual Proceedings, Carol Gigliotti, editor, ACM, New York, 1996, pgs. 29-31 (in English).So far, the German version published in the book Mythos Internet, which you'll find below, is the only integral publication of the essay.


Das Internet und die Zukunft der Kunst: Immaterialität, Telematik, Videokonferenzen, Hypermedia, Networking, VRML, Interaktivität, Bildtelefone, Künstlersoftware, Telerobotik, Mbone und darüber hinaus

Eduardo Kac

Eure Majestät, der Admiral Ihrer Flotte, Pedro Alvares Cabral und andere Kapitäne haben Eure Majestät über die Entdeckung Eurer neuen Länder informiert, die während dieser Reise gemacht worden ist, aber ich empfinde es als meine Pflicht, meinen eigenen Bericht Eurer Majestät hinzuzufügen. Ich werde die Dinge so gut ich kann beschreiben, wenn ich auch mit dem Rüstzeug, sie gut zu erzählen, armselig ausgestattet bin. Möge es Eurer Majestät gefallen, meine Ungeschicklichkeit als Zeichen guten Willens zu nehmen, da ich, um ehrlich zu sein, der Beschreibung dessen, was ich sah und und wie es mir erschien, nichts hinzufügen werde, nur um die Dinge schöner oder häßlicher erscheinen zu lassen.

Pêro Vaz de Caminha, Brief an seine Majestät König Manuel über die Entdeckung Brasiliens (1. Mai 1500).

Jeden Tag wird eine neue Welt ästhetischer, sozialer und kultureller Möglichkeiten von Individuen und Gemeinschaften weltweit entdeckt. Das Ziel dieses Essays ist es, einige der künstlerischen und kulturellen Entwicklungen, die derzeit im Internet stattfinden, zu kartographieren und die Aufmerksamkeit auf die einmaligen ästhetischen Erkundungen zu lenken, die durch dieses lückenlose weltweite Computernetzwerk von Netzwerken ermöglicht werden. Der Essay ist mit Hinweisen auf Material versehen, auf das man durch das Internet sofort Zugriff hat. In diesem Sinn ist der Essay selbst ein Experiment, das Internet mit dem Printmedium zu verbinden. Die Leser sind eingeladen, unter dem Glühen des Bildschirms zu lesen, während digitale Blitze sie von einer Ecke der Welt zur anderen tragen.

Vom Standpunkt des Künstlers aus muß man fragen, was das Internet ist. Ist es ein virtueller Katalog oder die vollkommenste Galerie elektronischer Bilder? Für einige mag es ein interaktives Medium sein, andere wiederum stellen es in andere Kontexte. Sein gewöhnlicher Gebrauch könnte nahelegen, daß es eher dem Telefon- oder Postsystem ähnelt, die den Austausch von Botschaften zwischen Menschen ermöglichen, die von einander entfernt sind. Das Internet beinhaltet allerdings auch Aspekte von Fernsehen und Radio, weil es das Senden von Video, Audio und Textbotschaften an kleine und große Gruppen zugleich erlaubt. Die vielleicht aufregendste Eigenschaft des Internet aber ist, daß es dies alles zugleich ist, und noch mehr. Dem Internet kann man sich aus vielen Ecken nähern und es fährt fort, zu wachsen und sich zu transformieren, während Sie heute gerade Ihre E-Mail lesen.

Das Internet wird von Künstlern aus der ganzen Welt auf viele verschiedene Weisen genutzt. Dieser Essay wird diese vielfältigen Herangehensweisen an das Netz im Blick darauf klassifizieren, wie sie netz-spezifische Eigenschaften ausbeuten. Viele der Arbeiten, die diskutiert werden, sind immer noch in Entwicklung und bieten uns Momentaufnahmen immaterieller Kunstwerke im Augenblick ihres Entstehens. Ich möchte beginnen, indem ich die Praxis zeitgenössischer Netzwerk-Kunst mit der Mail-Art vergleiche. Ich werde dann einen Blick auf die Möglichkeit des Internet werfen, Informationen mitzuteilen, und mich Werken nähern, die einen radikalen Gebrauch vieler der einmaligen Eigenschaften des Internet machen. Ich werde mit Werken enden, die als solche nicht existieren könnten, wenn sie nicht durch das Internet erfahrbar wären. Auf diesem Weg werde ich die kulturelle Bedeutung dieser neuen Ästhetik auf einer Karte verzeichnen.

Netzwerkkunst und Hypermedia

Lange vor dem Bau der "Infobahn" wurden die komplexen Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den neuen Medien von Leuten wie Marshall McLuhan und den damals unbekannten, jetzt aber gefeierten Situationisten theoretisch erforscht. Weniger anerkannt, aber mindestens genauso wichtig waren die Arbeiten von Künstlern wie Ray Johnson , der die New York Correspondence School gegründet hat. Seine "Schule" wurde der Keim der internationalen Mail-Art-Bewegung. Dieses von Künstlern entwickelte Post-Netzwerk erforschte nicht-traditionelle Medien, setzte sich für eine Ästhetik der Überraschung und Zusammenarbeit ein, übertrat die Grenzen der (postalischen) Kommunikationsregulierungen und umging das offizielle Kunstsystem mit seiner Kuratorienpraxis, dem Kunstwerk als Ware und der Beurteilung seines Wertes. Mail-Art Vorläufer waren die kubistische Collage, die Korrespondenz der Futuristen, die Exquisite Corpses der Surrealisten, Schwitters Merz und Duchamps Rendez-vous du dimanche 6 fevrier 1916. Mail-Art wurde von der internationalen Neo-Dada-Bewegung, dem Fluxus, aufgenommen und wurde ein wahrhaft internationales Post-Netzwerk, mit tausenden von Künstlern, die fieberhaft geschriebene und audiovisuelle Botschaften in verschiedenen Medien austauschten, veränderten, und wieder austauschten, was falsche Briefmarken, erfundene Umschläge, Photographien, Künstlerbücher, Collagen, Photokopien, Kassetten, Gummistempel und Faxgeräte einschließt.

Von Anfang an war Mail-Art nicht-kommerziell, freiwillig, offen, unzensiert und unbeschränkt. Mail-Art-Auststellungen haben niemals eine Jury und zeigen immer alle eingegangenen Arbeiten; Mail-Art wird immer noch über das Postsystem praktiziert und dehnt sich jetzt auf den Cyberspace aus. Zwischen den späten Sechzigern und den frühen Achtzigern war Mail-Art in Ländern mit diktatorischen Regierungen, die Menschen verstummen ließen, folterten und töteten, und wo neue Technologien für den Einzelnen unzugänglich waren, oft die einzige Form von künstlerischer Intervention gegen das Establishment. Der Mail- und Performance-Künstler Clemente Padin aus Uruguay wurde z.B. 1975 wegen "Verunglimpfung und Verspottung der Armee" eingekerkert. 1977 freigelassen, war es ihm bis 1984 verboten, Montevideo zu verlassen und seine Korrespondenz wieder aufzunehmen. Heute kann Padin auch online erreicht werden . In den frühen Siebzigern begann der italienische Künstler Guglielmo Cavellini , ein Sammler, der zum Post-Aktivisten wurde, einen Prozeß der "Selbst-Historisierung". Diese postmoderne Strategie, die den Verlauf der Kunstgeschichte kritisierte, wurde oft mit flüchtigen Materialien durchgeführt. Ich habe mit Cavellini in den frühen Achtzigern zwischen Brasilien und Italien Material ausgetauscht und war überrascht zu sehen, daß einer seiner runden Sticker (mit seinem Namen in der Mitte, in großen Buchstaben gedruckt), in ein Schild im Häuserblock des Art Institutes gesteckt, das Chicagoer Wetter von 1989 bis 1994 überlebte. Cavellini und Johnson haben nie mit dem Internet gearbeitet; der erste starb 1990, der zweite 1994. Ihr Tod könnte als Symbol für das Ende des Druckzeitalters in den Künstlernetzwerken verstanden werden, der mit den ersten Anstrengungen zur visuellen Erforschung des Internet zusammenfällt. Mail-Künstler, die noch aktiv sind, wie die Amerikanerin Dorothy Harris und der Belgier Guy Bleus , nutzen jetzt das Internet, um E-Mail zu versenden und Informationen zu verteilen. Guy Bleus z.B. vertreibt eine E-Mail-Zeitung, die Pele-Mele heißt. Die frühe künstlerische Vernetzung hat Bereiche berührt, die wahrscheinlich in wissenschaftlichen und technologischen Gemeinschaften Prominenz erlangt hätten, wie das Bedürfnis zur Zusammenarbeit, der Austausch und die Bearbeitung audiovisuellen Materials über Entfernungen hinweg, die Entwicklung kommunikativer Modelle, die Texte, Bilder und Klänge lückenlos in das Netzwerk integrieren, und die Konzeption von Netzwerk-Topologien als kreative Praxis.

Das Internet als Katalog

Das Internet ist auch für diejenigen Individuen und Institutionen der Kunstszene attraktiv, die nicht primär mit elektronischen Medien arbeiten, wohl aber das Netz für einen ausgezeichneten Ort halten, der allgemeinen Öffentlichkeit Informationen über physische Werke mitzuteilen, die eigentlich dafür gedacht sind, in einem Raum ausgestellt und leibhaftig erfahren zu werden. Diese Werkinformationen bestehen nicht nur aus der Beschreibung mit Worten, sondern oft auch aus Bildern und manchmal aus Videoaufzeichnungen. Die Ausstellung Virtual Ceramics ist ein gutes Beispiel dafür. Von den Keramikern Joe Molinaro und Richard Burkett organisiert, ist dieser Event als Web-Seite "ausgestellt" und zeigt Photographien von Werken internationaler Keramik-Künstler, Informationen über die Künstler und Zitate von ihnen. Zitate der Juroren vervollständigen zusätzlich die Ausstellung, die über ArtSource erreicht werden kann. Die Organisatoren bestätigten, daß der Katalog für viele traditionelle Ausstellungen das wichtigste Mittel ist, um für einen visuellen Zugang zu den Werken eines Künstlers zu sorgen. Die Ausstellung Virtual Ceramics ist in dieser Hinsicht einem traditionellen Ausstellungskatalog nicht unähnlich, wenn auch Ausgaben für die Künstler oder die Besucher (Versand, Eintrittsgebühren etc.) entfallen, die Zugang zu dieser sich schnell entwickelnden Technologie haben. Alle aufgenommenen Künstler werden wenigstens mit einem Objekt, manche auch mit zweien ausgestellt. Der Betrachter kann die Objekte anschauen und auf den Namen des Künstlers klicken, um zusätzliche Informationen zu erhalten. In Japan stellt eine ähnliche Galerie virtuelle Töpfe und andere Objekte aus, die mit einer anaglyphen Brille und durch die Programmiersprache VRML (Virtual Reality Mark-up Language) dreidimensional wahrgenommen werden können.

Der französische Computer-Wissenschaftler Nicholas Pioch hat das WebMuseum geschaffen, eine Guerilla-ähnliche Anstrengung, um mit einem weit über den Globus verstreuten Publikum viele der Schätze zu teilen, die in Museen gelagert werden und auf andere Weise unzugänglich bleiben würden. Das WebMuseum wurde nicht als Teil irgendeines offiziell unterstützten Projekts entwickelt. "Ich habe mich entschieden, seit März 1994 an dieser Ausstellung zu arbeiten, weil ich das Gefühl hatte, daß das Internet mehr Kunst bräuchte", erklärt er auf seiner Homepage. "Einige Unternehmen könnten versuchen, einen monopolistischen Zugriff auf Kunst und Kultur zu bekommen, indem sie eine pay-per-view-Logik entwickeln und CD-Roms verkaufen, während sie gleichzeitig versuchen, Dinge zu patentieren, die jedem von uns gehören: Teile unserer menschlichen Zivilisation und Geschichte. Diese Ausstellung versucht in keiner Weise, mit Büchern oder speziellen CD-Roms zu konkurrieren. Eine Internet-Ausstellung wie diese wird weder die Qualität einer Reproduktion auf Papier noch die professionelle Kritik erreichen, und sie wird - berücksichtigt man die Übertragungszeiten im Internet - auch nicht so komfortabel sein, wie eine CD-Rom daheim." Im Zentrum von Piochs Vorstoß liegt ein fester demokratischer Glaube an Dezentralisierung und den freien Zugang zu Informationen. Wie viele andere, die es auf sich genommen haben, Web-Seiten von kulturellem Wert zu schaffen, zu unterhalten und auszuweiten, arbeitet er ohne direkt Unterstützung oder Zuschüsse. "Die einzige Reaktion vom 'kulturellen Dienst' des Musée du Louvre", beklagt er sich, "war die Drohung, ihren Anwalt zum Direktor meiner Schule zu schicken". Zur Zeit kann der Betrachter auf der WebMuseums-Seite zwischen Bildern von Gemälden (Barock, Impressionismus, Kubismus etc.), musikalischen Kompositionen, die online abgespielt werden können (Bach, Beethoven, Strauss etc.), Bildern des mittelalterlichen "Stundenbuchs" Les Très Riches Heures (circa 1412-1416) und einer Tour durch Paris wählen. Das Original der Très Riches Heures wird im Museum Chantilly aufbewahrt und ist für das Publikum nicht mehr länger zugänglich.

Während Virtual Ceramics und das WebMuseum aus unabhängigen Initiativen hervorgegangen sind, ohne direkte Unterstützung von einem Museum oder einer Galerie, haben einige kulturelle Institutionen ihre eigenen Web-Server und machen ihre Sammlungen oder ihre aktuellen Ausstellungen im Netz zugänglich. Einige Museen benutzen das Netz, um eine Außenansicht ihrer Fassade und Reproduktionen der Meisterstücke ihrer Sammlungen auszustellen, wie z.B. das Ägyptische Museum in Kairo und das Los Angeles County Museum of Art. Ein virtueller Besucher des LACMA-Webs kann zwischen vielen wichtigen Werken auch ein Photogramm des ungarischen Konstruktivisten Laszlo Moholy-Nagy sehen, einem der ersten Befürworter des Gebrauchs neuer Technologien in der Kunst. Moholy-Nagy prägte den Ausdruck "Photogramm" in Analogie zu dem Wort "Telegramm".

Auch das Andy Warhol Museum in Pittsburgh ist im Netz. Das Museum hat über 500 Kunstwerke und bietet dem Besucher eine Gesamtschau der Entwicklung von Warhols Werk mit ausgewählten Themen als Schwerpunkten. Das Museum, das auch über einen eigenen Server verfügt, geht einen Schritt weiter als die meisten Online-Kataloge, indem es zugleich einen Besuch im Museumsgebäude simuliert. Der virtuelle Besucher wird eingeladen, einen Rundgang mit Führung durch die Anlage zu unternehmen, wobei ihm eine Menue mit Wahlmöglichkeiten - vom Museumsshop über alle sieben Geschosse des Gebäudes - zur Verfügung steht. Entscheidet sich der Besucher z.B., ins Erdgeschoß zu gehen, wird ihm der Plan der Räume und ein Photo präsentiert, das von einem günstigen Punkt aufgenommen, drei Wände mit Gemälden zeigt, einen Pfeiler und zwei Sessel. Ein vollständiges Verzeichnis der Werke auf diesem Stock ist erhältlich, der in zwei Erdgeschoßgalerien und zusätzliche Räume aufgeteilt ist. Andere Links im Erdgeschoß erlauben es dem Besucher, an weitere Orte zu wandern (Theater, Museumsshop, nächster Stock, Eingangsgalerie), oder allgemeine Informationen zu erhalten. Ebenso ist es möglich, zurückzuspringen und den Rundgang von vorne zu beginnen. Obwohl dies ein wirkungsvoller Weg ist, einen aktuellen Besuch im Museum zu suggerieren, bietet das Verzeichnis der Werke unglücklicherweise keinen Link zu Bildern dieser Werke selbst. Um Reproduktionen einiger der Seidenmalereien von Warhol zu sehen, muß der Besucher zu einer Seite gehen, die Art Samples from the Andy Warhol Museum heißt und sieben Bilder aus den Fünfzigern und Sechzigern enthält. Wenn kommerzielle Interessen und eine aggressive Urheberrechtgesetzgebung den Lauf der Dinge nicht ändert, könnte das Internet anfangen, André Malrauxs Vision des "Museums Ohne Wände" oder des Musée Imaginaire zu realisieren, das ursprünglich in Bezug auf die weit verbreiteten photographischen Reproduktionen entwickelt worden ist.

Museen tragen heutzutage eine große Verantwortung, der sie sich aber nur selten auch stellen. Blanke Ironie ist es beispielsweise, daß die Annäherung der Museen an das Internet in Bezug auf die zeitgenössische elektronische Kunst, so es sie gibt, zumeist darin besteht, sich die neuen Technologien ohne zu zögern als ÔnützlichenÕ Teil ihrer Bildungs- und Werbeanstrengungen einzuverleiben - sie zugleich aber davon Abstand nehmen, Künstler, die mit neuen Medien arbeiten, zu suchen und auszustellen, wie sie traditionelle Kunst ausstellen. Es stimmt, daß die meisten Museen und Galerien nicht im Internet sind und sehr begrenzte Telekommunikationskapazitäten haben, die gewöhnlich auf Telefonapparate und Faxgeräte beschränkt sind - aber das muß sich ändern, wenn Museen der neuen Herausforderung begegnen wollen, die durch immaterielle Kunstformen entsteht, durch vielgestaltige Netzwerke, dezentralisierte Informationen und Aktionen , die aus der Ferne gesteuert werden. Verursacht vielleicht durch die seltene oder gar nicht vorhande Beschäftigung der Universitäten mit elektronischer Kunst und einem allgemeinen Fehlen von Vertrautheit mit neuen Technologien (und ihren sozialen Implikationen), fühlen sich die meisten Museumsdirektoren und Kuratoren wohler dabei, diese neuen Technologien in den Griff zu kriegen, indem sie ihre Sammlungen katalogisieren und dem Publikum ermöglichen, durch Datenbanken und Bildarchive mit einem übersichtlichen Interface zu stöbern. Während Künstler eine Zusammenarbeit zwischen Museen und Galerien durch Kunstwerke fördern, die diese in experimentellen telematischen Ereignissen verbinden, scheuen die meisten kulturellen Institutionen die Herausforderung und gehen den einfachsten Weg, in dem sie besonders auf ältere Formen der Zusammenarbeit zurückgreifen, wie z.B. den Austausch von physischen Objekten für temporäre Ausstellungen. Während das Internet ein Bewußtsein über das Vorhandensein elektronischer Kunst unter den traditionellen Formen zu wecken hilft, finden die neuen Technologien in Museen und Kunstzentren ihren Platz als Hilfsmittel, um Informationen über traditionelle Werke zu liefern, und weniger oft als Medium, Künstler auszustellen. Eine seltene Ausnahme ist das Dia Center for the Arts in New York, das Werke fördert, die für ihre Web-Seite geschaffen worden sind. Ein anderes bemerkenswertes Beispiel ist das Contemporary Arts Center in Cinncinati, das einen echten Raum hat, der ausschließlich der Präsentation elektronischer Kunst gewidmet ist. Und schließlich folgte der Ausbreitung von Kunst im Netz auch keine Ausbreitung neuer, kritischer Diskurse über die Kunst und das Internet und verwandte Themen - abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen wie der Arbeit der Dutch collective Foundation for the Advancement of Illegal Knowledge und den Online-Publikationen Talkback! , C-Theory und Mediamatic .

Museen haben es schwer, mit den neuen Medien vertraut zu werden, nicht nur in der Hinsicht, wie man elektronische Kunst angemessen ausstellt, sondern auch was diese Medien für die Museen selbst bedeuten. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Kunst entmaterialistert worden und hat dabei durch ihre technische Reproduzierbarkeit das verloren, was Benjamin ihre Aura genannt hat. Heutzutage sind wir Zeugen der Geburt vollständig immaterieller Kunst. Für Institutionen wie Museen, die einzigartige Kunstobjekte in einer quasi religiösen Umgebung ausstellen, fordert die neue Kunst ein radikales Durchdenken der Verpflichtungen des Museums gegenüber Künstlern und Publikum. Die alternative Kultur, die sich im Internet entwickelt, legt den Gedanken nahe, daß dieses globale Netzwerk auch als neue Art von Galerie erfahren werden kann. Ohne Internet müßten Künstler, die immaterielle Kunstwerke schaffen (digitale Bilder z.B., oder Multimedia- und interaktive Werke), ihre Arbeiten auf einer CD-Rom und also mit beschränkter Zirkulation präsentieren, oder aber im Kontext einer Galerie mit relativ kleinem Publikum. Um in einer Galerie gesehen werden zu können, müßten Bilder gedruckt werden und multimediale und interaktive Werke die Form einer Installation annehmen. Im Internet können Künstler ihre Werke einem breiten Publikum im Rahmen des gleichen verführerischen Glühen des Bildschirms zeigen, in dem sie erschaffen worden sind.

Seltsamerweise war die Ausstellung Roy Lichtenstein Pre-Pop, 1948-1960, die in der Newark Art Gallery an der Ohio State University von Mai bis Juni 1994 gezeigt worden ist, online zugänglich, doch ist sie dann vom OSU-Server "auf Verlangen von Herrn Roy Lichtenstein und seinen Anwälten" entfernt worden. Zweifellos muß man das Urheberrecht eines Künstlers respektieren, aber gerade in diesem Fall ist das sehr ironisch. Schließlich hat Roy Lichtenstein eine Karriere gemacht, die darauf beruhte, sich Bilder anzueignen, die in den Massenmedien zirkulierten, und sie in bezahlte Ware zu transformieren. Hat sich irgendjemand - Künstler, Kuratoren und Sammler gleichermaßen - um das Urheberrecht von Comic- und Werbekünstlern während der Explosion der Pop Art auf dem internationalen Kunstmarkt gekümmert? Die Ironie wird noch größer, wenn wir uns klar machen, daß eine viel größere Anzahl von Leuten Zugang zu Reproduktionen von Lichtensteins Werk durch Bücher in zahllosen Bibliotheken auf der ganzen Welt haben, während nur ein kleiner Teil davon in der Lage wäre, Zugang zu Reproduktionen seiner Bilder in niedriger Auflösung durch das Netz zu haben. Vielleicht ist es symptomatisch für dieses frühe Stadium, wenn einige traditionelle Künstler noch nicht ganz verstehen, was das Internet und seine Implikationen sind. Vielleicht aber ist es ohne Aussicht auf finanziellen Gewinn für viele Künstler ganz einfach nicht interessant, Reproduktionen ihrer Werke mit der Welt zu teilen. Werden die meisten Künstler vom Internet als "business as usual" denken, oder wird das Netz neue Kunstformen hervorbringen?

Das Internet als Galerie

Wie in der Vergangenheit produzieren viele zeitgenössische Künstler, die mit Computern arbeiten, Bilder, die dazu gedacht sind, eindeutig als einzelne, statische Bilder erkannt zu werden. In einigen Fällen ist die Einzigartigkeit der elektronischen Natur der Bilder für den Künstler sekundär, da er andere Eigenschaften bevorzugt, wie z.B. Tintenstrahlausdrucke auf Papier oder Leinwand. In vielen Fällen ist es jedoch die Qualität der Immaterialität, die endlose Reproduzierbarkeit, die relativ genaue Möglichkeit zur Abstufung und das Glühen des Bildes auf dem Bildschirm unter den anderen, einmaligen Eigenschaften der Bildgestaltung am Computer, die dem Künstler am wichtigsten sind. Kunstwerke, die auf diese Art geschaffen worden sind, finden im Internet das beste Mittel für eine Ausstellung, weil der Betrachter das Werk auf die gleiche Weise erfahren kann, wie es im Studio des Künstlers original hergestellt worden ist. Der Betrachter sieht weder eine Reproduktion, noch ein Original - ja, mit Werken, die digital geschaffen und ausgestellt werden, schafft Computerkunst diese Kategorien ab, da jede digitale Vervielfältigung ein vollkommen identisches Bild erzeugt, was Kennerschaft veralten läßt. Die Flüchtigkeit digitaler Bilder erfordert neue Wege der Präsentation. Die Anzahl von Online-Galerien, die elektronische Kunst ausstellen, hat sich in den letzten zwei Jahren dramatisch erhöht, teilweise aufgrund der im Vergleich zum Unterhalt physischer Galerien geringeren Kosten, aber auch weil ihre Mission nicht von den Zwängen des Kunstmarktes diktiert wird. Die Demokratisierung, die diese Praxis beinhaltet, ist zu begrüßen, wenn auch nicht ohne Beachtung des künstlerischen Werts. Wir dürfen nicht glauben, daß die heilsame Alternative ÔInternetÕ alle gezeigten Stücke in unmittelbare Meisterwerke verwandelt. In dieser Hinsicht spiegelt das Internet bloß die physische Welt darin wieder, daß nur eine begrenzte Zahl von Werken den Status bloßer Neuheit überschreitet und den von Kunst erreicht. Trotzdem bietet der Cyberspace, anders als die traditionellen Museumsräume, genug Raum sowohl für selbst ausgestellte Kunst wie für die professionelle Arbeit von Kuratorien.

Eine Internetseite, die einen Übergang zwischen der Katalogform, wie sie in diesem Essay oben untersucht worden ist, und einer entstehenden digitalen Galerie darstellt, ist die russische Hot Pictures Electronic Photo Gallery . Diese Web-Seite konzentriert sich auf photographische Arbeiten russischer Künstler, deren Spektrum von reinen Photos und auf Photos basierenden Gemälden zu Diapositiven und computer-manipulierten Bildern reicht. Anders als Malerei, Plastik und andere, traditionellere Formen, eignet sich die Photographie aus natürliche Gründen leicht zur Reproduktion. In vielen historischen Fällen, wie z.B. in den Photomontagen von John Heartfield, wurden photographische Werke speziell geschaffen, um reproduziert zu werden. Während die meisten photographischen Arbeiten bei Hot Pictures eigentlich dazu gedacht waren, auf konventionelle Weise in einer physischen Galerie an der Wand hängend betrachtet zu werden, sticht das digitale Werk des jungen Künstlers Alexander Revizorov (geb. 1974 in Moskau) durch sein Thema und seine visuelle Gestaltung heraus. Wie die anderen Künstler in der Ausstellung ist ihm ein "Raum" mit biographischen Informationen und einigen Bildern gewidmet . In bester konstruktivistischer Manier, typographische Arbeiten und Photographie zu verbinden, stellt er englischen Text ("Virus detected: twilight 2994f/ ident.-worm" und "Too Late!") neben ein Selbstportrait, das zeigt, wie der Künstler mit offenem Mund wie Wachs schmilzt. Eine Sonnenbrille schützt uns davor, den starren Blick des Künstlers zu sehen. Der Zerfall des Selbsportraits kann als Kritik an traditionellen Kunstgenres gelesen werden. Durch die Verbindung mit englischen Worten, die auf den Angriff eines digitalen Virus hinweisen, suggeriert es eine kulturelle "Vergiftung", die einen tiefen Einfluß auf lokale Erscheinungen haben könnte. Die Wahl von Englisch (statt Russisch) ist ein Versuch, das Werk zu internationalisieren, ebenso wie ein Symptom der Vergiftung, die bereits stattgefunden hat. "Too Late! - zu spät!" gibt der Künstler deutlich zu verstehen.

Trotz der Dominanz des Englischen als wichtigster Sprache, unterstützt das Internet eine internationale virtuelle Gemeinschaft von Künstlern, Kuratoren, Ausstellungsräumen und fernen Betrachtern. Mit einem Tastendruck katapultieren wir uns von Moskau nach Haifa in Israel, wo es eine Austellung elektronischer Kunstwerke des israelischen Künstlers Avi Rozen zu betrachten gibt. Rozens Schwarz-Weiß-Serie ist vielleicht sein faszinierendstes Werk . Der Künstler legt digitale Selbstportaits und digital bearbeitete Bilder aus den Massenmedien über Bilder von alten Steinreliefs. Farbe erscheint nur zufällig in zwei Bildern. Von allen siebzehn Bildern, die online sind, folgen 14 der vertikalen Linie der originalen Steinreliefs. Die anderen drei weichen leicht von ihr ab. Sie sind horizontal plaziert, bewahren aber eine den anderen Bildern ähnliche Textur und ein ähnliches Spiel von Verweisen. Die meisten der Bilder Rozens beinhalten archäologische Verweise und zeitgenössische Zeichen, die aus so verschiedenen Quellen wie Zeitungen und erotischen Magazinen entnommen worden sind. In einem Essay, der auch im Internet verfügbar ist , schreibt Rozen, daß "die Reizschwelle im 20. Jahrhundert kontinuierlich gestiegen ist. Die traditionellen Methoden der Plastik werden nicht mehr ausreichen, das Fernsehpublikum zu erreichen und zu halten. Neue Mittel sind erforderlich, um durch den Bildschirm zu greifen und die Aufmerksamkeit eines Publikums zu erreichen. Sind Künstler in der Vergangenheit vielleicht auf Grundlage von manueller Gestaltung oder Pinselführung oder auch durch ihre Geschicklichkeit, solche stilistischen Illusionen zu erzeugen, die akzeptable Kunst ausmachten, als begabt beurteilt worden, reichen diese Kriterien heutzutage nicht mehr aus. Ein virtueller Bildhauer, der mit einer mathematischen Sprache arbeitet, hat einen sicherlich nicht geringeren ästhetischen Anspruch als ein Bildhauer mit Meißel, der Stein bearbeitet. Die Sprachen der Plastik verändern sich nicht weniger als die des Materials".

Das Konzept der virtuellen Galerie, wie es Rozens Werk veranschaulicht, wird vom kanadischen Künstler Brad Brace in seinem 12hr-SBN-JPEG Project zeitlich ausgedehnt. Als lange Sequenz von Photos organisiert, die am Anfang alle 12 Stunden auf einem Computer neu gespeichert worden sind, der in London steht und mit vielen ähnlichen Sites auf der ganzen Welt verbunden ist, umfaßt das Werk von Brace jpeg-Standphotos (Bilder, die im jpeg-Format komprimiert und abgespeichert werden), QuickTime-Filme und mpeg-Filme (digitale Filme im mpeg-Format). Das Internet wird ein öffentlicher Filmsaal, in dem einzelne Photos genauso wie Filme und Photosequenzen in einer Abfolge projeziert werden können, die der Betrachter bestimmt. Brace, der jetzt in den Vereinigten Staaten lebt, hat in einer E-Mail die Photographien, die in seinem Werk benutzt werden, als "verkündet, dezentriert, zweideutig, homogen, verfault, facettenreich, exzentrisch, schräg, zwanghaft, obskur und undurchsichtig" definiert. Anders als die meisten Photographien der russischen Gruppenausstellung Hot Photos, widerstehen Braces Bilder und digitalen Filme nicht den Transformationen, die dem Prozeß der Digitalisierung und dem öffentlichen Ausstellen innewohnen. Zusammengenommen verlieren seine Bilder ihren Status als singuläre Kompositionen, die für die Identität des Autors repräsentativ sind, indem sie kommerzielle Zwänge und den problematischen Begriff des Urhehberrechts hinter sich lassen. Brace fordert alle Betrachter auf, "sie anzuschauen, sie wieder auszustellen, sie abzuspeichern, Handel mit ihnen zu betreiben, sie auszudrucken und sogar sie zu verkaufen".

Als Teil seiner Strategie benutzt Brace verschiedene ftp-Server zur Verbreitung des The 12hr-ISBN-JPEG Projekts. Da nicht alle Internet-Nutzer Zugang zu dem populären Internet-Browser-Programm Netscape haben, ist das eine rücksichtsvolle Strategie. Betrachter, die durch das Internet mit Netscape, Mosaic oder anderen Programmen navigieren, werden an verschiedenen Orten direkte Links finden, die es ihnen ermöglichen, ein Werk direkt auf ihren Personalcomputer herunter zu laden, denn für die meisten Werke, die nicht über ein Browser-Programm zugänglich sind oder wegen ihrer Datengröße, der Inkompatibilität der Formate oder anderen Restriktionen nicht online erreicht werden können, sind die ftp-Server einer solchen Galerie eine wichtige Einrichtung

Das Internet als Medium

Hat man einmal Zugang zu einem graphischen Interface für Nutzer und eine Verbindung über ein Modem, ist Zeigen und Klicken alles, was man noch tun muß, um durch das Internet zu steuern. Mit simplem Druck auf eine Taste kann man in bermerkenswerter Geschwindigkeit von einem Kontinent zum anderen springen, selbst über eine normale Modem-Verbindung. Wenn wir etwas Interssantes finden, klicken wir auf ein Wort oder ein Bild, die uns Verbindungen zu anderen Worten, Bildern und Seiten eröffnen. Dieser Vorgang hat kein Ende. In den Fällen, die bisher untersucht wurden, stellen die Gesten des Zeigens und Klickens an sich kein signifikantes Element der Erfahrung dar. Wenn wir in Kataloge mit traditionellen Medienkunstwerken oder in Galerien mit elektronischen Bildern schauen, zeigen und klicken wir mit dem Ziel, an einen bestimmten Punkt zu gelangen. Die rhizomatische Struktur des Netzes fördert diese Erfahrung, aber stellt an sich kein Schlüsselelement der Bedeutungsproduktion dar, weil die Photographien in einem fernen Computer gespeichert sind und auf ihre Betrachtung warten. Wenn wir uns wie in einer echten Galerie entscheiden, zuerst auf ein Bild zu schauen, anstatt auf ein anderes, spielt diese Wahl an sich in der Würdigung des Bildes selbst keine Rolle. Ein anderer typischer Fall: einige der Kunstwerke im Internet haben durch benutzerfreundliche graphische Interfaces wie Netscape die Qualität von Hypermedien. Diese Werke nutzen das Internet nicht als eine Galerie, um Bilder zu zeigen, sondern als ein interaktives Medium. Sie basieren auf veränderbaren Strukturen und wechselnden Links. Um Bedeutung zu erlangen, ermöglichen sie den Teilnehmern, online ihre Wahl zu treffen und ihre eigenen Erfahrungen zu bestimmen, während sie durch ein bestimmtes Werk steuern.

WaxWeb , ein Work-in-Progress, ist ein Hypermedia-Projekt, das auf David Blairs elektronischem Film WAX or the discovery of television among bees (85:00, 1991, unter technischer Leitung von Tom Meyer) beruht. Es verbindet eines der größten erzählerischen Hypermedia-Dokumente (1,5 Gigabyte) mit einem Interface, das Netscape-, Mosaic- oder MOO-Nutzern erlaubt, weitere Hypermedia-Dokumente hinzuzufügen, die sofort öffentlich sichtbar sind. MOO, als eine Art "text-basierte virtuelle Realität" bejubelt, ist eine Form der Multi-User-Domain (MUD), die in einer objekt-orientierten Programmiersprache geschrieben ist. Teilnehmer können sich über Telnet in einen fernen Comupter einwählen und mit anderen an einem verbalen Abenteuer beteiligen. Blair schlägt vor, Hypermedia nicht als eine Art Film zu betrachten, wie auch Film oder Radio kein Theater waren oder das Fernsehen einfach visualisiertes Radio. Während Übertragungen von einem linearen Medium in ein anderes durch die Adaptionen von Romanen für Filme durch Hollywood populär gemacht wurden, stellt jede Übertragung von linearen in interaktive Medien immer noch eine besondere semiotische Herausforderung dar. Die Autoren erkennen diese Schwierigkeit an, wenn sie in WaxWeb schreiben, daß "Du keine Abfolge in gewohntem Zeitmaß bekommst, sondern eine exponentiell größere Zahl an Assoziationen und Details, die ein wichtiger Teil dieser Erzählhaltung sind". Für Blair verweist diese Richtung in die Zukunft des elektronischen Kinos, wenn lineare Filme, die in Kinos gezeigt werden, wahrscheinlich mit interaktiven Multimediainterpretationen der gleichen Geschichte in den Netzen koexistieren. WaxWeb ging 1994 ins Internet und wurde teilweise vom New York State Council for the Arts unterstützt.

Wie alle Hypermedia-Erzählungen entwickelt sich WaxWeb durch Verknüpfung eines Knotens mit vielen anderen. Jede Seite verweist auf viele andere Seiten, auf denen der Teilnehmer Text, Bilder, Kurzfilme oder Klänge finden kann. Von der Homepage gehen wir zu einem der vielen verfügbaren Knoten, zum Index . Drei Akte öffnen sich auf anderen Seiten, mit weiteren Multimedia-Links. Der dritte Akt ("The Cave and beyond") hat z.B. acht Links in seinem Text. "Cave Town", der erste Link, beinhaltet 30 weitere Links im Text. Wenn wir "Radio: They were thirty feet tall" wählen, landen wir auf einer Radioseite, auf der Video-, Audio- und Bilder-Icons ein Optionsmenü anbieten, das neben Links im Text, Richtungsanzeigen (zurück/vorwärts, zusammenziehen/ausweiten, zur Homepage/Index), E-Mail-Möglichkeiten, einer Hilfe, einem Button für persönliche Vorlieben, Kommentarfunktionen auch die vollständige Zahl der Leser dieses Knotens und das Copyright-Zeichen enthält.

Während Künstlern wie Brace Identität, Urheberrecht und Profit egal sind und sie dadurch in einer einzigen Geste gegen die Kommerzialisierung der elektronischen Kunst und des Internet selbst Stellung beziehen, betrachtet Blair die ästhetischen (und finanziellen) Lücken zwischen Popkultur und experimenteller Kunst als sein Aktionsfeld. "Wir experimentieren gerade mit einem elektronischen Bezahlungssystem für Video on-demand", erklärt er auf der Infoseite von Ecash . "Wir verlangen nur 10 Cent für den Zugang zu diesem Server. Wenn Sie nicht das Ecash-System benutzen, können Sie sich natürlich alles auch umsonst anschauen, aber es ist ja irgendwie nur Spielgeld. Wenn Sie noch nicht einmal an die Möglichkeit denken wollen, das Netz zu kommerzialisieren, oder wenn Sie keine Kopie der Ecash-Software haben, dann können Sie weiter UMSONST lesen." Anders als das Medium Fernsehen, zumindest wie wir es in beinahe 60 Jahren kennengelernt haben, ermutigt das Internet potentielle Betrachter dazu, selbst etwas herzustellen und mit anderen in Kontakt zu kommen, da jeder mit einem Computer und einem Modem den Zugang zu E-Mail hat oder sogar seinen oder ihren eigenen Computer zu einem Server machen kann. Wenn das Internet der Schrittmacher für dezentralisiertes Wissen und gleichberechtigten Zugang zu Informationen sein will, wie viele hoffen, muß es der Gefahr widerstehen, kulturelle Äußerungen auf kommerzielle Angebote zu beschränken. Das könnte mit der wachsenden Kommerzialisierung des Cyberspace sehr schwierig werden.

Mit der Geburt einer neuen immateriellen Ästhetik werden wir auch Zeugen des Aufkommens neuer Formen sozialer Organisation im Cyberspace auf der einen Seite, und wieder auferstehender Formen von Konservativismus auf der anderen Seite. Die Kunst muß mehr tun, als diesen Prozeß von außen zu betrachten, und viele Künstler machen diese Themen zum Zentrum ihrer künstlerischen Intervention. Wenn die Aussicht auf finanziellen Gewinn den Verlauf des File Room-Installationsprojekts (1994) des spanischen Künstlers Antonio Muntadas , der vorwiegend in New York lebt, bestimmt hätte, dann wäre es wahrscheinlich nie online gegangen. Mutandas physische Installationen kritisieren gewöhnlich Institutionen kultureller und politischer Macht. Sein Board Room von 1987 bestand z.B. aus Tischen und Stühlen, die auf das Gemeinschaftsgefühl organisierter Religionen hinwies. Dreizehn Photos von Fernsehpredigern und religiösen Führern wie Papst Johannes Paul der Zweite und Ayatollah Khomeni wurden mit Bildschirmen aufgestellt, die in ihre Münder montiert waren. Muntandas zeigte, daß der öffentliche Rundfunk, der spirituelle Gefühle kommerzialisiert, private Gefühle verkauft und für heilige Kriege wirbt, jetzt von bequemen Privaträumen aus betrieben wird. Kontrolle von Politik, Religion und Kommunikation sind nun ein und dasselbe. Mutandas File Room- Projekt, eine Zusammenarbeit mit Dutzenden von Künstlern, Kuratoren, Programmierern und Aktivisten, steht in Kontinuität zu seinen Installationsarbeiten, außer daß diesmal ein dynamisches Internet-Archiv den Betrachtern Zugang zu Informationen über die Geschichte der Zensur und ihre Auswirkungen verschafft. Im Erdgeschoß des Chicago Cultural Center wurde eine Umgebung mit 138 schwarzen, metallenen Aktenschränken, niedrig hängenden Beleuchtungskörpern und sieben Computerbildschirmen (die an einen zentralen Server angeschlossen waren) aufgebaut. Die Betrachter erfuhren Fälle von Zensur mit der Angabe von Ort, Datum und den Gründen für die Zensur wie ihrer Mittel. Ein anderer Computer in der Mitte des Raumes ermöglichte es den Besuchern, ihre eigenen Beispiele in das Archiv einzugeben. Clemente Padins bereits erwähnter Fall war unter Südafrika zu finden. Padins Essay Dictadura o clamoreo en el Uruguay ist ebenfalls auf Spanisch erhältlich.

Die Rolle des Internet, für Stimme und Gedächtnis zu sorgen, spiegelt sich in ihrem Gegenteil, der Zensur. Dieser Antagonismus klingt in den Kontrasten zwischen öffentlich und privat, alter Funktion und neuem Gebrauch, Einzel- und Gemeinschaftsarbeit an, und durchdringt Mutandas physische Installation, die in Chicago gezeigt wird. Elisabeth Subrin, Künstlerin und Forschungskoordinatorin für das Projekt, erklärt seine Reichweite: "Der File Room wurde von Künstlern gemacht und spielt als solcher nicht die Rolle einer Bibliothek oder einer Enzyklopädie im traditionellen Sinn. Das Projekt schlägt stattdessen alternative Methoden der Sammlung, Verarbeitung und Verteilung von Informationen vor, um einen Dialog und eine Debatte zu Themen wie Zensur und Archivierung anzuregen." Das Archiv ist immer noch online und kann von dem Leser aus der Ferne erweitert werden.

Jenseits des Internet

Wie einige Institutionen und Individuen das Netz dazu nutzen, Infomationen über die Kunst wie über die Kunstwerke zugänglich zu machen, experimentieren andere Künstler online mit interaktiven Konzepten. Muntadas Installation lud die Betrachter dazu ein, ein Zensurarchiv in einem kafkaesken Raum zu erforschen, indem es eine kritische Lesart hinsichtlich des Gebäudes suggerierte, das diese Ausstellung beherbergte, einer Bibliothek, die in ein Kulturzentrum umgewandelt worden ist. Die Funktion des Buchs und die soziale Rolle der Bibliothek sind wichtige Themen im Informationszeitalter, ebenso wie die komplexen Beziehungen zwischen Internet und Architektur. Einige Künstler erweitern und mischen das Internet mit anderen Räumen, Medien, Systemen und Prozessen, und erfoschen noch ein weiteres neues Gebiet für Experimente.

Mischereignisse im Internet entlarven die Schwäche von eingleisigen und hoch zentralisierten Formen der Verteilung, wie sie das Fernsehen darstellt, und tragen gleichzeitig dazu bei, die Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern, die absolut einmalig für diese immaterielle, telematische Form künstlerischer Aktion sind. Mischungen erlauben den Künstlern auch, über die Schaffung von Online-Werken hinaus zu gehen, die dem entstehenden Design- und Begriffsstandart des Internet entsprechen, und dadurch dem zu entgehen, was häufig als sich wiederholende Lösung von Designübungen erscheinen könnte. Abseits vom Kunstmarkt betreibt eine neue Generation von Medienkünstlern, die oft zusammenarbeiten, sozialen Wandel, Medienkritik und radikale Innovation. Wenn wir diese neue Medienkunst nicht länger "Avantgarde" nennen wollen, müssen wir die kritische und innovative Reichweite ihrer Unternehmungen innerhalb und jenseits vom Internet anerkennen, trotz (oder wegen) der Tatsache, daß sie nicht in einen der "-ismen" passen, die als Kapitelüberschriften für die Kunstgeschichtsbücher dienen.

Eine dieser Gruppen, die nicht darauf wartet, daß der Rest der Welt zupackt, ist das Ponton European Media Art Lab , das 1986 gegründet worden ist und seit 1994 in Hannover sitzt. Bestehend aus 15 Mitgliedern, die je nach Projekt doppelt so viele Leute mobilisieren können, setzt sich diese unabhängige Gruppe aus Künstlern und Technikern aus Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich, Kanada und den USA zusammen. Ihr ehrgeizigstes Projekt bis heute war der interaktive Fernsehevent Piazza Virtuale (virtueller Platz), der 1992 hundert Tage lang als Teil der Dokumenta IX gezeigt worden ist. Dieses Ereignis ist von Van Gogh TV produziert worden, der Fernsehproduktionseinheit von Ponton. 1995 verließ Karel Dudelsek, einer der Gründungsmitglieder von Ponton, die Gruppe und führte Van Gogh TV als separates Projekt weiter. Piazza Virtuale erzeugte eine beispiellose Kommunikationsmischung aus Live-Fernsehen (das auf zwei Satelittenleitungen basierte) und je vier Leitungen für ISDN, Telephon, Modem, Touch-Tone-Telefon, Videofon und Fax. Es gab keine eingleisige Übertragung von Programmen wie beim gewöhnlichen Fernsehen. Ohne festgelegte Regeln oder Moderatoren riefen simultan bis zu zwanzig Teilnehmer an, loggten oder wählten sich ein, und begannen im öffentlichen Raum des Fernsehens zu interagieren, nur hin und wieder von Videokameras auf einem Träger an der Decke des Studios kontrolliert. Jeder der Beiträge, die aus verschiedenen Ländern hereinkamen, wurde live von Pontons Van Gogh TV aus Kassel nach ganz Europa und zeitweilig auch nach Japan und Nordamerika ausgestrahlt. Diese Art von Kunstwerk wurzelt in der Einsicht, daß Kunst etwas mit sozialer Verantwortung zu tun hat. Die Künstler handeln direkt im Bereich der Medienlandschaft und der Realität. Neben anderen Implikationen beseitigt dieses Projekt auch die monologische Stimme des Fernsehens und verwandelt es analog zum Internet in eine andere Form von öffentlichem Raum der Interaktion. Die modischen Ideen der Unterhaltungsindustrie - "Video-on-demand" oder interaktives Fernsehen - sind bereits vor ihrer Realisierung von der weltweiten Interaktivität, die das Internet ermöglicht, überholt worden.

Künstler erforschen die Medienlandschaft, indem sie neue Modelle demokratischer Interaktion erschaffen, während die großen Unternehmen das Internet kommerzialisieren wollen und damit alten Modellen folgen, die aus der hoch-regulierten Welt der Kommunikationsindustrie stammen. Die propagierten neuen Technologien wie das sogenannte Intercast versuchen, sich den öffentlichen Raum des Internet einzuverleiben und in ein Gebiet privaten Rundfunks zu verwandeln. Die Intercast-Technologie ermöglicht einer neuen Generation von Personalcomputern, Rundfunk-, Fernseh- und andere Daten assoziierter Sendeanstalten aus dem Netz zu empfangen. Diese Technologie wird die Daten mit dem TV-Signal an Personalcomputer senden, die mit Intercastempfängern und -software ausgerüstet sind. Die Betrachter können in einem kleinen Fenster auf ihrem Bildschirm fernsehen, behauptet die Intercast-Firma, und auf Anfrage zusätzliche Daten auf einem anderen Fenster empfangen. Die kurzsichtige Vision, die dieser Idee zugrunde liegt, ignoriert die Tatsache, daß Computer im Cyberspace nicht passive Endstationen sind, und daß seit den ersten Tagen des Internet die Nutzer mehr an der Möglichkeit neuer Formen sozialer Interaktion interessiert sind, als an jedem anderen Nutzen dieser Technologie. Technologischer Wandel ist tief mit politischen und ökonomischen Kräften verbunden. Die Künstler, die mit elektronischen Medien arbeiten, sind in der einmaligen Position, soziale Kritik und alternative Modelle von innen heraus anzubieten.

Ich teile dieselben Bedenken gegenüber der politischen Wirkung hierarchischer Medienlandschaften und den sozio-ästhetischen Möglichkeiten von untereineinader verbundener und vermischter elektronischer Medien, wie sie von Ponton und Van Gogh TV geäußert werden, und habe seit 1989 mit Ed Bennett in dem Ornitorrinco-Projekt einer Telepräsenz-Installation zusammengearbeitet. "Ornitorrinco" bedeutet "Schnabeltier" auf Portugiesisch, das normalerweise als "Hybrid" aus Vogel und Säugetier gilt. Ursprünglich 1987 geplant, erweitert dieses noch andauernde Werk dramatisch meine frühen Telekommunikations-Arbeiten, die ich in Brasilien seit 1985 mit dem dort übernommenen französischen Videotextsystem gemacht habe. Das Konzept der "Telepräsenz", das ich in meinem Artikel "Ornitorrinco: Exploring telepresence and remote sensing" 1990 in die Kunst eingeführt habe, ist in der Wissenschaftlergemeinde seit den frühen Achtzigern viel benutzt worden . Es bezieht sich auf entstehende Fernsteuerungs-Szenarien, in welchen eine Person einen Teleroboter aus der Ferne lenkt, eine visuelle Rückmeldung erhält und somit ein Gefühl der Präsenz in der ferngesteuerten Umgebung bekommt.

Die Grundstruktur der Ornitorrinco-Serie aus Telepräsenz-Installationen besteht aus dem drahtlosen Teleroboter selbst, regulären Telefonleitungen (sowohl zur Betrachtung als auch zur Fernsteuerung) und entfernten Orten. Die Betrachter werden Teilnehmer, wenn sie sich in den ferngesteuerten Körper versetzen und frei durch den Raum navigieren, indem sie die Tasten eines gewöhnlichen Telefons drücken. Die Ornitorrinco-Orte sind immer nach den Maßen des Teleroboters gebaut und laden die Betrachter dazu ein, das menschliche Maß zeitweilig zu verlassen und auf eine neue Welt zu schauen, die anders als ihre eigene ist. In unserem internationalen Telepräsenz-Event, Ornitorrinco in Eden, das am 23. Oktober 1994 realisiert worden ist, verbanden wir das Internet mit Telerobotern, physischen (architektonischen) Orten, dem Telefonsystem und einer revidierten, buchstäblich digitalen "Tele-Vision". Dies ermöglichte den Teilnehmern, selbst zu entscheiden, wohin sie gingen und was sie in einem fernen physischen Ort über das Internet sahen. Anonyme Teilnehmer teilten sich den Körper des Teleroboters, kontrollierten ihn und schauten gleichzeitig durch sein Auge. Eine neue Ästhetik entsteht, als Ergebnis der Synergie von neuen, nicht-formalen Elementen wie Koexistenz in virtuellen und realen Räumen, Synchronizität der Handlungen, Fernsteuerung in Echt-Zeit, die Operationen des Teleroboters und die Zusammenarbeit über Netzwerke. Die Telepräsenz-Installation Ornitorrinco in Eden hat alle diese Elemente verbunden.

Ornitorrinco in Eden hat eine Brücke zwischen dem ortlosen Ort des Internet und den physischen Orten Seattle, Chicago und Lexington geschlagen. Das Werk bestand aus diesen drei Knoten zur aktiven Teilnahme und vielen anderen Beobachtungsknoten weltweit. Anonyme Betrachter aus mehreren amerikanischen Städten und vielen Ländern (Finnland, Kanada, Deutschland und Irland) haben sich eingewählt und konnten die ferngesteuerte Installation in Chicago aus der Perspektive des Ornitorrinco erfahren (der von anonymen Teilnehmern in Lexington und Chicago gesteuert wurde). Der mobile und drahtlose Teleroboter Ornitorrinco in Chicago wurde in Echt-Zeit von Teilnehmern in Lexington und Seattle kontrolliert. Die voneinander entfernten Teilnehmer teilten sich gleichzeitig den Körper des Ornitorrinco. Über das Internet sahen sie die ferne Installation durch das Auge des Ornitorrinco. Die Teilnehmer kontrollierten den Teleroboter simultan über eine gewöhnliche Telefonverbindung (Drei-Wege-Konferenzschaltung) in Echt-Zeit. Der Raum der Installation war in drei Bereiche aufgeteilt, die alle untereinander verbunden waren. Das vorherrschende visuelle Thema war das Veralten der Medien, die einst für innovativ angesehen wurden, sowie die Anwesenheit dieser Medien in unserer technologischen Landschaft. In diesem neuen interaktiven Kontext der Teilnahme, der durch diese Telepräsenz-Installation im Internet erzeugt worden ist, fanden die kommunikativen Begegnungen nicht durch schriftlichen oder mündlichen Austausch statt, sondern durch den Rhythmus, der aus dem Engagement der Teilnehmer in einer geteilten, medial vermittelten Erfahrung entstanden ist. Betrachter und Teilnehmer waren dazu eingeladen, gemeinsam, im gleichen Körper, einen erfundenen, fernen Raum aus einer Perspektive zu erfahren, die anders als ihre eigene war, und dadurch zeitweise den Boden von Identität, geographischem Ort, physischer Anwesenheit und kulturellem Vorurteil ins Wanken gebracht hat. Als das Werk durch das Internet erfahrbar war, konnte es jeder auf der Welt sehen, der einen Internet-Anschluß hat, und so wurden die Wände der Gallerien aufgelöst und das Werk einem größeren Publikum zugänglich.

Mit neuen tragbaren Computern und Satelittenschüsseln, Telefonen für das Handgelenk, holographischem Video und einer Fülle an neuen technologischen Erfindungen werden die Telekommunikationsmedien weiterwachsen, doch kann das in keiner Weise als Garantie für einen qualitativen Sprung in den persönlichen Kommunikationsbeziehungen betrachtet werden. Ornitorrinco in Eden hat einen Kontext geschaffen, in dem anonyme Teilnehmer erfahren haben, daß nur durch ihr gemeinsames Vorgehen und ihre nicht-hierarchische Zusammenarbeit Schritt für Schritt, oder eher Bild für Bild, eine neue Realität konstruiert worden ist. In dieser neuen Realität waren raum-zeitliche Distanzen irrelevant, virtuelle und reale Räume wurden gleichwertig und sprachliche Barrieren wurden zeitweise zugunsten einer geteilten Erfahrung aufgehoben. Um die Vermischung von Radio und Internet zu erfoschen, hat der österreichische Künstler Gerfried Stocker in Zusammenarbeit mit vielen anderen Künstlern und Technikern aus mehreren Ländern Horizontal Radio geschaffen. Das Projekt lief während der Ars Electronica in Linz, Österreich, 24 Stunden lang live (vom 22. bis 23. Juni 1995) auf den Frequenzen vieler Radiosender der ganzen Welt. Das Projekt hatte lose "Migration" als Thema und beabsichtigte, die Standartformen von Kommunikation, wie sie von großen Rundfunksendern und der Unterhaltungsindustrie betrieben werden, anzugreifen. Horizontal Radio schuf eine neue Form der Erfahrung einer Medienlandschaft, in der sich selbst organisierende Gruppen, die über die ganze Welt verstreut sind, an einem einzigen Werk arbeiten und verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten wie Übertragungen in Echt-Zeit, die typisch für den Rundfunk sind, und die asynchrone Natur von Audio im Internet eingebunden haben. Die Teilnehmer mischten einige alte und neue Technologien, um das Radio zu einem Ort des Austauschs von Audio-Botschaften zu transformieren. Diese neue Audio-Umgebung, die verschiedene Formen von Klang-Kunst wie Tonband-Kompositionen, Live-Konzerte, simultane telematische Kunstereignisse zwischen einigen der teilnehmenden Sendern sowie Klangskulpturen und Texte und Klangcollagen, die durch das Internet ausgelöst wurden, miteinander kombinierte, betonte die dialogische Form der Ausstrahlung und schuf ein Gefühl einheitlicher Distanz, das den begrenzten Senderadius von Rundfunkanstalten transzendierte.

Ein anderes wichtiges Werk, das diesmal Fernsehen, Radio, Telephon und das Internet verschmolz, war From Casablance to Locarno: Love reviewed by the Internet and other electronic media , das vom französischen Künstler Fred Forest am 2. September 1995 in Locarno realisiert worden ist. In diesem Werk strahlte der Künstler den Film Casablanca mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman ohne Ton aus, aber mit einem Text auf dem Bildschirm, der das Publikum über die Möglichkeit interaktiver Teilnahme informierte. Das Publikum nutzte das Internet und rief teilnehmende Radiosender auf, die Lücke mit kreativen und improvisierten Dialogen aufzufüllen. Fred Forest kontrollierte auch die Bilder, die auf dem Schirm zu sehen waren, von einem Kino in Locarno aus, das für lokale Besucher geöffnet war und extra für dieses Werk in ein Rundfunk- und Fernsehstudio umgebaut worden war.

Anders als virtuelle Gallerien, Multimedia-Projekte oder Werke, die auf Hyperlinks basieren, findet man wenig Werke online, die das Internet mit physischen Orten verbinden. Stelarc und Richard Kriesche demonstrierten kürzlich in zwei Installationen eine solche Verbindung zwischen berührbaren Objekten und virtuellen Orten und eröffneten dadurch neue Bereiche für Aktion und Imagination. Stelarcs Event Fractal Flesh ermöglichte es entfernten Zuschauern aus den weltweit angeschlossenen Städten, seine beiden Arme und einen dritten Roboterarm zu manipulieren, während sie ein visuelles Feedback erhielten. Bilder dieser Performance wurden dann auf einer Web-Seite gespeichert, die diesem Ereignis gewidmet war. Kriesches Installation Telematic Sculpture 4 bestand aus einem Fließband im österreichischen Pavillion auf der Biennale in Venedig, auf dem eine Schiene sich entsprechend dem Datenfluß durch das Internet bewegte und sogar durch die Wand stoßen konnte.

Zukünftige und gegenwärtige Herausforderungen

Zweifellos stellt das Internet eine neue Herausforderung für die Kunst dar. Es rückt das Immaterielle in den Vordergrund und unterläuft kulturelle Denkweisen, indem es die ästhetische Debatte in das Zentrum sozialer Veränderungen versetzt. Es bietet auch ein praktisches Modell dezentralen Wissens und dezentraler Machtstrukturen an und fordert damit zeitgenössische Verhaltens- und Diskursparadigmen heraus. Die wunderbaren kulturellen Elemente, die es bietet, werden unser Leben zu verändern beginnen - jenseits der eingleisigen Strukturen, die gegenwärtig die Medienlandschaft ausmachen. Als Teilnehmer einer neuen Phase sozialen Wandels, die sich mit internationeln Konflikten und Auseinandersetzungen daheim konfrontiert sehen, dürfen wir nicht den zweigleisigen Weg des Internet aus den Augen verlieren. Wenn es von den Unternehmen dominiert werden sollte, könnte es parallel zum Fernsehen und Radio eine weitere Form der stereotypen Verteilung von Information geben, und die "Netizens" (d.h. die Welt, virtuell gesehen) zwingen, starren Mustern der Interaktion zu folgen. Eine kommerzielle Ausrichtung könnte das Netz weiter daran hindern, sich in unterentwickelten Zonen wie Südamerika und Afrika auszubreiten. Ehrgeizige Projekte wie Motorolas Iridium, das noch in der Entwicklung ist und ein globales, drahtloses Netzwerk aus 66 Satelliten über der ganzen Welt darstellt, wird, wenn überhaupt, natürlich wenig daran ändern. Schließlich birgt das Internet auch das Risiko, mit seinen virtuellen Oberflächen, den Standart-Interfaces und der geregelten Form von Kommunikation alle kulturellen Artefakte gleich aussehen zu lassen.

Ein neue Technologie ist auch "Multicast Backbone" oder Mbone . Als virtuelles Netzwerk, das über dem physischen Internet liegt und das Routing von IP-multicast-packets unterstützt, wird Mbone in Netzwerkdiensten wie Audio- und Videokonferenzen über die ganze Welt eingesetzt. Heutzutage wird es hauptsächlich von Wissenschaftlern für interaktive Videokonferenzen benutzt, obwohl hier und da schon ein künstlerischer Einsatz angetroffen werden kann.

Der kanadische Video-Künstler, Komponist und Darsteller Philip Djwap, der in New York lebt, arbeitet zusammen mit dem Medien-Künstler Kevin McCoy aus Seattle an Videokonferenz-Projekten im Internet. Djwap hat auch über Satelitt/MBone die Fernsehsendung "El Naftazteca: Cyber TV for 2000 AD" in Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Künstler Guillermo Gómez-Peña und Adriene Jenik am 22. November 1994 realisiert . Die Figur El Naftazteca ist "ein abtrünniger High-Tech-Azteke, der einen kommerziellen Fernsehkanal befehligt und Beispiele seiner Chicano Virtual Reality-Maschine aus dem Technikraum seines geheimen Bunkers sendet. Die Chicano Virtual Reality-Maschine ermöglicht El Naftazteca, jeden Moment seiner Geschichte oder der seines Volkes zurückzuholen und diesen Moment in Videobildern darzustellen", erklärt Gómez-Peña auf der Web-Seite, die dieses Ereignis dokumentiert. Als Teilnehmer der internatinalen Mail-Art-Bewegung in den Siebzigern, konfrontiert Gómez-Peña in seinem Werk Multikulturalismus und Medien, die Formen wie Film, Video, Radio, Performances und Installationen mit einschließen. "Wie werden Fernsehen und Performances in zehn Jahren aussehen? Sie müssen mehrsprachig sein und sie werden jeden bedeutungslos machen", behauptet Gómez-Peña. Eine interaktive Komponente des Werkes ermuntert die Betrachter, in den iEAR-Studios des "Rensselaer Politechnic Institute" anzurufen und die grundlegenden kulturellen Annahmen zu untersuchen, die sie über die Beziehungen der Latinos zu den USA erhalten. Über Mbone können die Nutzer von Computern während der neunzig Minuten der Sendung direkt mit El Naftazteca kommunizieren.

Meine Telepräsenz-Installation Rara Avis für das Olympic Art Festival in Atlanta wurde am physischen Ort des Nexus Contemporary Art Center in Atlanta gezeigt, sowie simultan im Internet (über Videokonferenz in Farbe und schwarz-weiß), in anderen Netzwerken (mit Bildern aus der Videokonferenz) und über Mbone (mit Farbvideo und Ton). Die Besucher der Galerie konnten sich in den Körper eines Teleroboter-Aras in einer Voliere mit dreißig kleinen Vögeln versetzen. Sie konnten einen Datenhelm tragen und das visuelle System des Roboter-Vogels in Echt-Zeit kontollieren; außerdem teilten sie sich den Körper des Teleroboters mit anderen Teilnehmern im Internet, die die Stimme des Roboters aktivieren konnten. Was der Besucher vor Ort sah, konnte auch live im Internet, den anderen Netzwerken und über Mbone gesehen werden. Was man in der Gallerie hören konnte war eine Mischung der Stimmen verschiedener Teilnehmer, die gerade in diesem Moment im Körper des Vogels waren. Das Werk war in Atlanta vom 27. Juni bis zum 24. August 1996 und im Internet zu sehen.

Die vorherrschenden Paradigmen von Fernsehen, Rundfunk und Verlag sind für das Internet dasjenige, was Theater und Literatur für das Kino und den Rundfunk anfang dieses Jahrhunderts waren. Eine simple Übertragung konventioneller Formen verkennt das wahre Potential dieses neuen Systems. Das Internet ist weder eine neue Form des Verlags noch eine Erweiterung von Rundfunk und Fernsehen. Es muß nicht reguliert werden, um seine öffentliche und soziale Rolle zu erfüllen. Wenn überhaupt ein Vergleich stimmig ist, dann ähnelt das Internet am ehesten der Erfahrung nicht überwachter Unterhaltung über das Telefon. Fernsehen, wie wir es kennen, kann einfach nicht diese Gemeinschaftserlebnisse erzeugen, die der bekannteste Aspekt des Netzes sind. Während große Fernseh- und Verlagshäuser ihre traditionelle und regulatorische Sicht dem Netz aufdrängen, weil sie sicher sind, daß ein trickreich erhöhter technologischer Standart die Nutzer von eigener Programmgestaltung abbringen und sie in der Hand derer konzentrieren wird, die eine "Armee von Programmgestaltern" anheuern kann, wie es ein Geschäftsführer von Time Warner ausdrückt, entfalten sich die meisten Nutzer des Internet im Austausch von E-Mail, in ihrer Teilnahme an den neuen Gemeinschaften, denen sie angehören, in der neu zugänglichen Masse an Wissen, die sie täglich entdecken, und in dem Reichtum an interaktiver Multimedia-Erfahrung, die sie im World Wide Web haben können. Wie eine Studie kürzlich nahelegt , bewegen sich die Internet-Nutzer (einschließlich der Kinder) fort vom Fernsehen und hin zum Netz. Kombinierte Systeme, die über Kabel und Satelitt das Netz zum Fernseher daheim bringen, und die Verfügung von ATM-Breitbandtechnologie für Personalcomputer werden mit anderen neuen Technologien das Interesse am Internet und seine Reichweite ausdehnen. Das Internet hat von den anfänglichen kleinen Netzwerken mit einer simplen Benutzeroberfläche zum Eintippen von Befehlen bis heute einen langen Weg zurückgelegt. Cimerium z.B., ein Online-Kunstwerk in VRML (Virtual Reality Mark-Up Language), das von Perry Hoberman und Scott Fisher 1995 geschaffen worden ist , ermöglicht den Teilnehmern, ihre virtuellen Körper zu versammeln und durch eine interaktive, drei-dimensionale virtuelle Welt zu steuern. Es ist klar, daß die Zukunft der Kunst und die Zukunft des Internet miteinander verflochten sein werden. Was das Internet selbst wird, und welche neuen Kunstformen daraus entstehen, sind Fragen, die in der Gegenwart gestellt werden müssen. Dabei müssen wir uns fragen, wie das Internet ein wirklich globaler Raum sein kann, solange nur 20 % der Weltbevölkerung ein Telefon besitzen und in Ländern wie Haiti der Analphabetismus eine Höhe von 85 % der Gesamtbevölkerung erreicht? Leben wir in einer Welt der Verbundenheit und der Netz-Kommunikation, wenn die USA, mit ihren 5 % der Weltbevölkerung, 25 % der weltweiten Telefonleitungen besitzt? Das Internet selbst ist weder die Ursache neuer Probleme, wie konservative Gesetzgeber und Politiker auf der Suche nach Selbstdarstellung uns weismachen wollen, noch ist es die Lösung fundamentaler Probleme wie das Sinken des Bildungsgrades und die ungleiche Verteilung von Wohlstand. Das Internet fördert öffentliches Interesse und begünstigt neuartige Dialoge, aber es spiegelt auch die tief eingewurzelten sozialen Beziehungen wider, die seit langem außerhalb des Cyberspace errichtet worden sind. Wir müssen dies im Auge behalten, wenn neue Technologien bestehende soziale Ungleichgewichte durcheinanderbringen und neue Kunstformen dringliche Kritik am gegenwärtigen Leben formulieren, indem sie uns auf alternative, öffentliche Szenarien hinweisen.

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