Originally published in Gegenworte. Zeitschrift für den Disput über Wissen (herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften), 9. Heft, Frühjahr 2002, Seite 71-74


Kunst im Gentech-Zoo
Die Biotechnologie ist zum Handwerkszeug der Künstler geworden. Sie schaffen transgene Kunstwerke und erproben damit die Metaphern der Genforschung

Martin Lindner

Ohne den Ruch des Verbotenen wäre Alba wohl nie berühmt geworden. Das Albino-Kaninchen ist ein wahres Kuscheltier, mit weichem Fell und flauschigen Ohren. Doch Alba hat ein Geheimnis. Sie trägt in sich das Gen einer Tiefseequalle – und beginnt unter UV-Licht grün zu leuchten. Vorletztes Jahr wollte der brasilianische Künstler Eduardo Kac das Gentech-Tier auf dem Festival »Avignon numérique« ausstellen, als erstes Hauptwerk einer neuen Kunstform. »Transgene Kunst« nennt sie Kac.

Doch so weit kam es nicht. Das französische Forschungslabor, in dem Alba geschaffen worden war, untersagte die Präsentation. Der angebliche Grund: Die Festival-Organisatoren hätten keine Vorkehrungen getroffen, um das Kaninchen an der Flucht zu hindern oder vor Gentech-Aktivisten zu schützen.
Seitdem ist es um Alba nicht mehr still geworden. Ebenso wenig wie um Kac. Der Professor des &Mac221;Art Institute of Chicago&Mac220; ist bekannt für seine publikumswirksamen Projekte. Am Strand seiner Heimatstadt Rio de Janeiro machte er Performancekunst, er baute ferngesteuerte Robotervögel und spendete Blut für Maschinen. Inzwischen ist er zu einem der profiliertesten unter jenen Künstler avanciert, die sich vor allem seit den neunziger Jahren mit der Gentechnik auseinandersetzen und beispielsweise bei der weithin beachteten Ausstellung »Paradise Now« im vorletzten Jahr in New York ihre Arbeiten zeigten.

Manche der Gen-Künstler verwenden herkömmliche Mittel wie Bilder oder Videos. Andere dagegen – etwa George Gessert oder Natalie Jeremijenko aus den USA – züchten Pflanzen oder klonen Bäume für ihre Arbeit. Oder sie kreuzen bestimmte Tierarten, wie Brandon Ballangée dies mit kongolesischen Fröschen getan hat. Doch nur die wenigsten gehen so weit wie Kac und nutzen transgene Lebewesen – Organismen, auf die artfremdes Erbgut gezielt übertragen wurde.
»Kac hat ein Gespür für die neuesten Technologien«, kommentiert die Kunsthistorikerin Ingeborg Reichle von der Berliner Humboldt-Universität. »Zudem weiß er bestens, wie der Kunstmarkt und die Medien funktionieren.«
Das hat er spätestens in der Alba-Affäre gezeigt. Statt mit dem im Labor gefangenen grün leuchtenden Nager erschien Kac mit elf gewöhnlichen Albino-Kaninchen in Avignon, als eine »Hommage an Alba, die nicht bei uns sein kann«. Und noch im selben Jahr appellierte Kac mit Plakaten, Vorträgen und Diskussionen in den Straßen von Paris direkt an die französische Öffentlichkeit. Das Motto der Kampagne: »Befreit Alba!« Die wurde zum Star der Zeitungen und Fernsehsender.

Unterdessen war Kac nicht untätig: Im vergangenen Herbst zeigte er an der &Mac221;Arizona State University&Mac220; sein Werk »Der Achte Tag« – ein transgenes Miniatur-Ökosystem, das er mit Hilfe mehrerer Biotech-Labors geschaffen hatte. Grün leuchtende Mäuse, Fische, Pflanzen und Amöben waren unter einer Plexiglaskuppel von gut einem Meter Durchmesser versammelt. Im Ausstellungsraum hörten die Besucher Meeresrauschen. Und über eine Kamera, die an einem kleinen Roboter im Zentrum der Plexiglaskuppel befestigt war, konnten Neugierige auch per Internet die manipulierte Mikrowelt bestaunen – eine Welt, wie sie vielleicht schon morgen möglich wäre.
»Kac bringt natürlich die Kunst an eine Grenze«, beobachtet die Kuratorin Söke Dinkla. Dinkla hatte die Ausstellung »Unter der Haut« vergangenes Jahr in Duisburg mitgestaltet, in der auch eine Arbeit von Kac gezeigt wurde. Nachdem niemand mehr geglaubt habe, dass Künstler noch Grenzen antasten und als Avantgardisten auftreten könnten, sei Kac genau dies gelungen, sagt Dinkla. Tatsächlich werfen seine Projekte eine neue Frage auf: Darf ein Künstler ein transgenes Tier erschaffen?

»Ich glaube nicht, dass wir die Gentechnik einfach für künstlerischen Exhibitionismus nutzen sollten, das ist ein Missbrauch«, strafte der US-Bioethiker Arthur Caplan den Brasilianer ab. Freilich sind es genau diese Widerstände, mit denen Kac jongliert. Zudem ist das, was er zeigt, hinter den Türen der Labors längst Routine. Seit Jahren übertragen Forscher auf Versuchstiere dasselbe Gen, das auch Alba besitzt und der von Natur aus leuchtenden Pazifikqualle Aequorea victoria entstammt. Das Quallen-Gen, das ein grün fluoreszierendes Protein (GFP) verschlüsselt, wird meist mit weiteren Genen verkoppelt und dient als Markierung, ob der DNA-Transfer bei einem Labortier erfolgreich war. Für weltweites Aufsehen sorgte das Verfahren indes vor gut einem Jahr durch den Affen ANDi. Mit dem knuffigen Rhesusäffchen – sein Name bedeutet rückwärts »i(nserted) DNA« (»eingefügte DNA«) – hatten US-Forscher erstmals einen Primaten geschaffen, der das Gen der Tiefseequalle in sich trägt. War also ANDi, nicht Alba, der eigentliche Skandal?

Die Verwirrung nutzt der Strategie von Kac. Der will jedoch mit seinem »GFP Bunny« getauften Alba-Projekt nicht einfach die Gentech-Forschung nachahmen oder die Informationen und Bilder kopieren, die ohnehin aus der Wissenschaft in die Medien gelangen. »Mit meiner Arbeit will ich intervenieren, kritisieren, Dinge aufzeigen, verändern«, sagt Kac. Er will neue Blickwinkel schaffen – ohne jedoch der Öffentlichkeit eine fertige Lösung anzubieten. Während Marcel Duchamp zu Beginn des 20. Jahrhunderts betont habe, dass das Kunstwerk erst mit der Deutung des Betrachters entsteht, wolle Kac nun das Publikum mit seinen Ängsten, Hoffnungen und Imaginationen als Akteur in den künstlerischen Prozess hineinziehen, kommentierte das NY Arts Magazine. Erst durch die Debatte um Alba wird das Kaninchen zur Kunst.

Indes ist klar, dass Kac für seine Arbeit nicht nur die Öffentlichkeit braucht. Ebenso braucht er die Wissenschaft. »Kac ist ein Paradebeispiel für einen ganz neuen Künstler-Typus, eine Art Forscher-Künstler«, sagt Ingeborg Reichle. Dieser Forscher-Künstler eignet sich nicht allein Hochtechnologien an und dringt in Labore vor. Er macht auch die Wissenschaftler zu Mitautoren seiner Werke.
Viele Beobachter haben angemerkt, dass die Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft längst unscharf geworden ist. Suzanne Anker von der &Mac221;School of Visual Arts&Mac220; in New York wirft indes eine noch grundsätzlichere Frage auf: Ist die Gentechnik – und mit ihr der wachsende Zoo transgener Kreaturen – selbst schon eine Form von Kunst? Anker räumt ein, dass gentechnische Experimente einen wissenschaftlichen Zweck besitzen. Doch gleichzeitig verändern sie die symbolische Ordnung der Natur. »Würde beispielsweise ein strenger Vegetarier seine Prinzipien verletzen, wenn er eine Tomate isst, die mit den Genen einer Flunder frostfest gemacht wurde?«, fragt Anker. Die Chimären, die in den Gentech-Labors entstehen, seien mehr als bloß wissenschaftliche Objekte – und im Grunde Produkt einer künstlerischen Technik: der Collage. Die habe Künstlern seit langem dazu gedient, unverbundene Dinge in einen neuen, verstörenden Zusammenhang zu bringen, Material zu Metaphern zu verwandeln, Fakt und Fiktion zu verschmelzen. Mit den Chimären, die in den Labors wie in den Ateliers gleichermaßen auftauchen, werden auch die Definitionen von Leben und Kunst unsicher – »unausweichlich vage und schlüpfrig«, wie Anker sagt.
Auf diesem schlüpfrigen Grund bewegt sich auch Kac. Für sein Werk »Genesis« hatte er ein künstliches Gen herstellen lassen, in dem ein Bibelzitat verschlüsselt war. Zunächst wählte Kac einen Satz aus der Schöpfungsgeschichte: »Machet Euch die Erde untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.« Der Satz wurde ins Morsealphabet übersetzt und nach einem speziellen Konversionsprinzip in eine DNA-Sequenz umgewandelt. Dieses »Künstler-Gen« ließ Kac in Bakterien übertragen, die dadurch ein ganz neues Eiweiß produzierten – gewissermaßen den in Protein gegossenen Schöpfungsauftrag.

Per Internet konnten nun Online-Besucher die transgenen Bakterien betrachten und gleichzeitig durch Mausklick eine UV-Lichtquelle bedienen. Das UV-Licht ließ die Mikroben leuchten, führte jedoch gleichzeitig zu vermehrten Gen-Mutationen. Auch in dem Künstler-Gen, das am Ende der Ausstellung rückübersetzt wurde, häuften sich Fehler an. Die Betrachter hatten durch ihr Verhalten dazu beigetragen, die biblische Botschaft umzuschreiben.

Künstler-Gene sind indes keine Erfindung von Kac. Auch Joe Davis, der seit vielen Jahren im &Mac221;Massachusetts Institute of Technology&Mac220; arbeitet, verwendet sie. Gern würde Davis beispielsweise seine »Microvenus« auf eine Raumfahrtmission der NASA mitgeben. »Microvenus« ist ein synthetisches DNA-Molekül und enthält die nach einem speziellen Code verschlüsselte Information für ein Y-artiges Zeichen. Das symbolisiert die Scham einer Frau und ist gleichzeitig eine altgermanische Rune für die weibliche Erde. Das DNA-Molekül schleuste Davis in besonders widerstandsfähige Bakterien ein, die sich selbst für eine interstellare Reise eignen würden und außerirdischen Intelligenzen eine Botschaft überbringen könnten – »in der universalen Sprache der Biologie«, wie Davis sagt.

Die Faszination für den genetischen Code hatte ihn auch zu seinem »Riddle of Life« inspiriert. Dahinter stecke eine Anekdote aus der Wissenschaftsgeschichte, erzählt Davis: Im Herbst 1958 sandte der in den USA lebende Biophysiker Max Delbrück ein verschlüsseltes Telegramm an seinen Rivalen George Beadle, der nach Stockholm gereist war, um den Nobelpreis entgegenzunehmen. Das Telegramm bestand aus einer wechselnden Folge von vier Buchstaben: A, B, C, D. Beadle erkannte, dass die Zeichenfolge natürlich der DNA mit ihren vier chemischen Bausteinen nachempfunden war und jeweils drei der Telegramm-Lettern für einen Buchstaben des Klartexts stehen mussten. Nach kurzem entzifferte er die Nachricht: »Break this code or give back Nobel Prize.«
Delbrück setzte indes noch einmal nach. Als sich Beadle bereits bei der Nobelpreis-Zeremonie befand, kam ein Bote in den Festsaal. Er überreichte ein von Delbrück per Luftpost geschicktes Strickleiter-artiges Modell aus Zahnstochern, die in vier unterschiedlichen Farben koloriert waren. Beadle decodierte auf der Stelle: »I am the riddle of life. Know me and you will know yourself.«Davis nahm das Spiel ernst. Er verwandelte den Satz in ein synthetisches Gen, übertrug es auf Bakterien und zeigte die Mikroben bei der »Ars Electronica 2000« in Linz.

Es ist freilich kein Zufall, dass Kac von der Bibel spricht und Davis vom Rätsel des Lebens. Wie die US-Wissenschaftshistorikerin Lily Kay argumentierte, werden diese Vergleiche durch die Molekularbiologie selbst provoziert. Denn indem sie die DNA als codierten Text und das Genom als »Buch des Lebens« präsentierte, gab sie auch das verführerische Versprechen einer eindeutig lesbaren Botschaft über das Wesen des Menschen. Einer Botschaft, die in den drei Milliarden Basenpaaren seines Erbguts liege und sich auf einer einzigen CD speichern lasse, wie der US-Molekularbiologe und Nobelpreisträger Walter Gilbert vor Jahren proklamierte: »Man wird eine CD aus der Tasche ziehen können und sagen: &Mac221;Das ist ein menschliches Wesen, das bin ich!&Mac220;«. Derartige Metaphern hätten der Genetik eine geradezu biblische Autorität verliehen, sagt Kay.

Wie kritisch sind dann die Werke von Kac oder Davis? Spielen sie mit den Metaphern der Genforschung oder verfangen sie sich in ihnen?
Immerhin besitzt beispielsweise »Genesis« eine ironische Wendung: Das Künstler-Gen erzählt keine Wahrheit mehr über das Leben, sondern wird ständig verändert durch die Mausklicks der Internet-User.

Es gebe eben kein »Master-Molekül«, kommentiert Kac, der das Leben nicht auf ein biochemisches Phänomen reduzieren möchte. Ihm geht es in seiner Kunst, so sagt er, um die Schnittstelle zwischen Glaubenssystemen, ökonomischen Prinzipien, Rechtsparametern, politischen Direktiven, wissenschaftlichen Gesetzen und kulturellen Konstrukten.

Vielleicht ist das seine Botschaft: Auch in einer transgenen Welt bestünde Leben weniger aus Genen als aus Beziehungen. »Ich bin nicht daran interessiert, genetische Objekte entstehen zu lassen, sondern transgene soziale Subjekte zu erfinden.«

Und Alba? Kac hatte verkündet, für den Nager liebevoll sorgen zu wollen. Dazu hat er bisher freilich kaum Gelegenheit gehabt. Alba fristet nach wie vor ein Dasein als Versuchskaninchen in einem französischen Labor. »Leider!«, wie Kac betont. Immerhin: Später dieses Jahr will er Alba besuchen fahren.



Links zum Thema


Die Ausstellung »Paradise Now: Picturing the Genetic Revolution«:
http://www.geneart.org/pn-intro.htm

Homepage Eduardo Kac, auf der sich auch Links zur Ausstellung »Der Achte Tag« und zum »Alba Guestbook« finden: http://www.ekac.org

Gras-Fotografien von Heather Ackroyd und Dan Harvey:
http://www.artsadmin.co.uk/artists/ah/photosynthesistext.html#Tiger

Ressourcen und Artikel zur Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft bietet ein Portal der MIT Press:
http://mitpress2.mit.edu/e-journals/Leonardo/metapage.html



Ausgewählte Literatur


Anker, Suzanne: Gene Culture. Molecular Metaphor in Visual Art. Leonardo 33, 2000, S. 371-375

Chan, A. W. S. et al: Transgenic Monkeys Produced by Retroviral Gene Transfer into Mature Oocytes. Science 291, 2001, S. 309-312

Gessert, George: Eine Geschichte der DNA-involvierenden Kunst, in: Gerfried Stocker, Christine Schöpf (Hrsg.): Ars Electronica 99. LifeScience. Wien/ New York 1999, S. 236-244

Kac, Eduardo: GFP Bunny. Kunstforum International 158, Januar/Februar 2002
(www.ekac.org/gfpbunnykunstf.html)

Kay, Lily E.: Who Wrote the Book of Life? Information and the Transformation of Molecular Biology, 1945-55. Science in Context 8, 1995, S. 609-634

Nadis, Steve: Science for art’s sake. Nature 407, 2000, S. 668-670



Dr. Martin Lindner ist Mediziner und Medizinhistoriker und lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Berlin. Er arbeitet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, den Bayerischen Rundfunk, Geo und Bild der Wissenschaft.


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