Originally published in Frankfurter Rundschau, Feuilleton section, August 22, 2001, p 19.


Grüne Mäuse

Der amerikanische Gen-Künstler Eduardo Kac und sein genetisch
manipuliertes Ökosystem "Der achte Tag"

Von Thomas Girst

OncoMouse und Immortomouse sind eingetragene Warenzeichen, transgene Säugetiere, die man
nach Angabe von Adresse und Zahlungsweise über die Webseiten großer amerikanischer
Genlabors wie Taconic oder JAX per Mausklick kaufen kann. Patentierte Lebewesen. Die haarlose
OncoMouse wurde Mitte der 90er Jahre vom DuPont Konzern geschaffen. Automatisch entwickelt
sie maligne Tumore, wobei die Studie ihres dem Menschen angeglichenen Immunsystems der
Krebsforschung dienen soll. Bei Charles River Laboratories ist die OncoMouse, Modell
MMTV-v-Ha-ras, schon ab 90 Dollar inklusive Porto zu haben. Natürlich gibt es Mengenrabatt. Alles
ist auf der kundenfreundlichen Webseite aufgeführt, von Tipps zum Colony Management der
Versuchstiere bis 1-800-Lab-Rats, der gebührenfreien Nummer für die Telefonbestellung. Das
einzige, wonach man vergeblich sucht, sind die Abbildungen der Wolpertinger, so als sei man
ausgerechnet bei den urheberrechtlich geschützten Kreaturen um die strikte Einhaltung des
zweiten der Zehn Gebote bemüht.

"Die großen Konzerne wissen natürlich um die Macht der Bilder," sagt Eduardo Kac, Jahrgang 1962
und wichtigster Vertreter jener Gen-Künstler, die sich in ihren Werken kritisch mit der Erforschung
und Manipulation von DNA auseinander setzen. Würden die Forscher ihre Chimären zeigen, so Kac,
müssten sie mit noch mehr Drohungen oder gar Anschlägen auf ihre gut bewachten Laboratorien
rechnen. Und radikale Tierschutzvereine sowie wohlorganisierte Antipoden der Genforschung
machten ihnen schon so die Hölle heiß genug.

Kac weiß, wovon er spricht. Zwar geriet er nicht unmittelbar ins Kreuzfeuer der Kritiker, als er im
Sommer 2000 seinen transgenen, also fremdes Genmaterial tragenden Hasen Alba der Presse
vorführte. Aber Bilder des bei Blaulicht hellgrün aufleuchtenden Versuchskarnickels machten in
Windeseile die weltweite Runde. Angesehene Tageszeitungen wie der Boston Globe zeigten
Alba auf der Titelseite und dem großen amerikanischen Fernsehsender ABC war Alba einen
ausführlichen Bericht zur besten Sendezeit wert. Dabei hatte Kac, der für seine Projekte mit
internationalen Forschern zusammenarbeitet, nichts anderes getan, als dem Erbgut des Hasen ein
grün fluoreszierendes Protein, kurz GFP, beizumischen. Die natürlich lumineszierende Substanz
findet sich in bestimmten Quallenarten des Nordpazifik und wird von der Forschung bereits seit
Mitte der Achtziger Jahre als Marker genutzt, um die Bewegung kleinster Moleküle unter dem
Mikroskop sichtbar zu machen. "Ich arbeite mit Genforschern zusammen, um über meine Kunst zu
humanistischen Aussagen zu gelangen, die einen öffentlichen Dialog fördern sollen, den man
keinesfalls nur einer kleinen Gruppe von Spezialisten überlassen darf", sagt Kac über die
Diskussion um sein Häschen Alba, das er gerne als Familienmitglied bezeichnet. Die Kreation von
GFP Bunny war nicht Kacs erster Ausflug ins Gebiet der High-Tech Wissenschaften. Der
gebürtige Brasilianer und außerordentliche Professor für Kunst und Technologie an der School of
the Art Institute of Chicago werkelte schon 1986 an anthropomorphen Robotern, damals noch in Rio
de Janeiro. Ob er sich dann 1997 selber einen Mikrochip in den Knöchel implantierte oder zwei
Jahre später den im Zoo von Rotterdam heimischen Schwarm von 300 ägyptischen Fledermäusen
mit einem telerobotischen Batbot kommunizieren ließ, immer steht die Interaktion von Lebewesen
und Technologie im Zentrum seines Schaffens. "Meine Werke bilden einen Kontext, der es jedem
Betrachter ermöglichen kann, für sich selbst das Verhältnis von Natur und Technik, von Mensch
und Tier, Nähe und Distanz neu zu untersuchen", so Kac. "Natürlich sind diese Gegensatzpaare
dabei, sich aufzuheben."

Nach zweijähriger Entwicklungsphase wird Kac am 25. Oktober nun sein neuestes Projekt an der
Arizona State University in Tempe der Öffentlichkeit vorstellen. The Eighth Day spielt schon im
Titel auf den Schöpfungsmythos der Erde an, wonach Gott diese in sechs Tagen schuf und am
siebten ruhte. Der Betrachter wird in einen dunklen Raum geführt, aus dessen Deckenlautsprecher
das seichte Hin und Her einer Meeresbrandung rauscht. Man schreitet dann über auf den Boden
projiziertes Wasser und nähert sich dem Herzstück der Ausstellung. Unter einer großen
Plexiglashaube erstreckt sich ein transgenes Ökosystem, komplett mit grün fluoreszierenden
Pflanzen, Fischen, Mäusen und Amöben, wobei letztere als "Hirn" eines Bioroboters dessen
Bewegungsläufe durch Zellteilung regulieren. Kitsch meets Klon, so scheint es. Und doch: Kacs
leuchtende Beispiele führen die tiefgreifenden Implikationen der Genforschung wirkungsvoll vor
Augen, ohne dabei dem Betrachter eine Entscheidung über Für und Wider abzunehmen. Dafür
nämlich, so Kac, sei die ganze Angelegenheit viel zu komplex.

Die Menschen sollen herrschen

Der Künstler, der nicht nur für die Titel seiner Werke gerne Begriffe aus der jüdisch-christlichen
Überlieferung bemüht, spricht denn auch von der Trinität, die drei seiner Arbeiten bilden. GFP
Bunny steht demnach am Anfang und The Eighth Day am vorläufigen Ende einer Werkgruppe,
die auch Kacs Genesis einschließt. "Die Menschen sollen herrschen über die Fische des Meeres,
über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen". Dieses Bibelzitat ließ
Kac für Genesis zunächst ins Morsealphabet und von dort in die mit G, T, C, A benannten
Chromosombestandteile der DNA übertragen. Die so entstandene synthetische Gensequenz fügte
er Bakterien bei, die jeder Besucher seiner Webseite mit einem Mausklick, der UV-Licht aktiviert,
noch bis 2004 manipulieren kann. Die dadurch veränderte Sequenz wird anschließend in den
Bibeltext rückübersetzt, der sich dann völlig fehlerhaft liest. Auch The Eighth Day wird für
Websurfer zum Event. Wenn es im Oktober soweit ist, lässt sich im Internet jede Regung unter der
Glashaube aus allen möglichen Blickwinkeln verfolgen. Big Brother im genetisch manipulierten
Ökosystem. Selbst aus dem Inneren des Bioroboters lugt eine Kamera, die von überall auf der Welt
verstellbar sein wird.

Für Kac beginnt das transgene Abenteuer allerdings schon beim Frühstück. "Wir leben doch bereits
in einer transgenen Welt. Ob ich Cornflakes esse oder Sojamilch trinke. In den USA stammen über
90 Prozent des Mais und der Sojabohnen aus genmanipuliertem Anbau." Und in Europa? "Da
existiert eine andere kulturelle Atmosphäre und bezüglich der Gendebatte ein weit größeres
Bewusstsein, dass sich zum Teil den schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg verdankt.
Aber Europa wird wirtschaftlich nicht hinterherhinken wollen und ist deshalb gewissen Zwängen
ausgesetzt".

In seinen Arbeiten beruft sich Kac immer wieder auf Traditionen und Denker des alten Kontinents.
Er verweist auf Mönche, die bereits im sechsten Jahrhundert Hasen heranzüchteten, um eine
bestimmte Farbe oder Fellqualität zu erzielen. Die Rezeption seiner Werke durch ein oft irritiertes
Publikum erklärt Kac gerne mit dem von Martin Buber initiierten Prinzip der dialogischen Philosophie,
das später in den Schriften von Michail Bachtin aufgegriffen wurde. Erst durch die direkte
Erfahrung der Wesenheit eines Dings kann das Urfremde der bloßen Wahrnehmung in der
Beziehung von Leben, Natur und geistiger Welt aufgehoben werden. Die schonungslose
Sichtbarmachung einer durch die Genforschung bereits möglichen veränderten Realität konfrontiert
den Betrachter von Installationen wie The Eight Day derart unmittelbar, dass eine
Auseinandersetzung damit zwangsläufig wird.

Selbst wenn Kac Präsident Bushs kürzlich gesprochenes Machtwort zur Einschränkung der
Stammzellenforschung als zu konservativ ablehnt, gibt es auch für den Künstler Grenzen: "Immer
wieder werde ich gefragt, ob ich einen transgenen Menschen erschaffen wolle, sobald dies
wissenschaftlich möglich wäre. Es gibt tradiertes, universal anerkanntes Sozialverhalten. Dazu
gehört beispielsweise, dass wir Tiere züchten und töten, um sie zu essen. Es geht darum,
verantwortlich zu handeln ohne zu heucheln. Für meine Arbeiten bleibt das Züchten von Menschen
natürlich absolut inakzeptabel."

Die Webseite des Künstlers ist www.ekac.org


Back to Kac Web