Originally published in Facts; 2001-06-28; Seite 108; Nummer 26, pp. 108-109, Switzerland.



Leuchtende Kreatur

Eduardo Kac Der Professor aus Brasilien provoziert mit einem
fluoreszierenden Hasen. Er hält den Gentechnikern den Spiegel vor.

Von Gaby Schweizer

Eduardo Kac streckt gleich zwei Hände zum Gruss aus. Mit ihnen ergreift er die
Hand seines Gegenübers und schüttelt sie sachte, aber gründlich. Wer Kac kennen
lernt, denkt: Dieser Mann würde einem Kaninchen womöglich gut Sorge tragen.

Einem Kaninchen? Eduardo Kac ist Künstler und hat mit einem gentechnisch
veränderten, in blauem Licht grün schimmernden Kaninchen einen weltweiten
Medienwirbel ausgelöst. In jeder Körperzelle trägt das Tier die Bauanleitung für ein
grün fluoreszierendes Protein, gewonnen aus der leuchtenden Qualle Aequorea
victoria.

Kritiker werfen Kac vor, in arroganter Weise mit dem Leben herumzuspielen,
Gentechnik mit Kunst zu verwechseln und jenen Verrückten Tür und Tor zu
öffnen, die die Gentechnik vollends in unseren Alltag integrieren möchten. Das
Kaninchen mit dem Namen «Alba» wartet derweil an seinem Geburtsort im
französischen Forschungsinstitut für Landwirtschaft (Inra) in Jouy-en-Josas bei Paris
auf sein weiteres Schicksal. Die Forscher wollen Kac das Kaninchen - nach einem
Machtwort des Institutsdirektors - nicht übergeben. «Eine schwierige Situation»,
sagt Kac, der das Kaninchen als Haustier halten möchte.

Eduardo Kac stammt aus Brasilien und ist Assistenzprofessor an der
Kunsthochschule des renommierten «Art Institute of Chicago». «Katz», spricht
man seinen Namen aus. Der Professor malt keine Landschaftsbilder, formt keine
Gipsfiguren. Die Welten der Technik und der Biologie sind seine Ateliers. Vor ein
paar Jahren verkabelte er Zoobesucher mittels Kopfhörer und Brille mit einer
Roboterfledermaus, die inmitten dreihundert echter Fledermäuse von der
Höhlendecke hing. Er gehört zu einer wachsenden Gruppe von Künstlern, die zwei
ursprünglich säuberlich getrennte Gebiete unter einen Hut bringen wollen:
Gentechnik und Kunst. «Transgene Kunst», nennt Kac seine Arbeit.

«Das soll Kunst sein?», empörten sich Journalisten und Tierschützer, als das
Kaninchenprojekt vergangenes Jahr öffentlich wurde. Kac habe nichts zur Zeugung
des Kaninchens beigetragen. Wie er dazu komme, das Tier als sein Kunstwerk zu
bezeichnen. In seinem winzigen Büro, dessen Türe etwas irreführend mit «Suite
104» angeschrieben ist, lehnt sich Eduardo Kac in seinem Stuhl nach vorn und
versucht, gleich zwei Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: «Die Vorstellung,
ein Künstler müsse mit den eigenen Händen ein Kunstwerk erschaffen, ist so
veraltet wie die Vorstellung, Europa sei das Zentrum der Welt.» Auch habe er nie
behauptet, «Alba» sei sein Kunstwerk. «Alba» sei Kunst. Kein Kunstwerk. Es sei
ein Kaninchen wie jedes andere, ein Individuum, das Zuneigung und ein soziales
Umfeld brauche. Solche Unterscheidungen kümmern Kacs Kritiker wenig. Ob
Kunstwerk oder Individuum, Kac ebne jedem Idioten den Weg, mit Tieren
herumzuexperimentieren, werfen sie im vor. Die Kommentare auf Kacs Website
reichen von «alles grosse Scheisse» bis zu «versuch das doch mal mit deiner
eigenen Tochter». Kac entgegnet, es gäbe keinen Grund, «weshalb eine
Technologie in den Händen einer ausgewählten Gruppe von Menschen bleiben
sollte». Im Fall des Kaninchens habe er die Gentechnologie aus dem Reich der
Wissenschaft ins Reich der Kunst geholt. Dies sei das Wesen der Kunst: Sie greife
Dinge aus ihrem Zusammenhang und werfe damit neue Fragen auf. Im Fall «Alba»
laute eine dieser Fragen, welche Rolle gentechnisch veränderte Tiere in unserer
Gesellschaft spielen sollen.

«Provokante Scherze» seien das, schrieb der «Spiegel». «Gute Kunst, da gibt es
keine Frage», sagt Staci Boris vom «Museum of Contemporary Art» in Chicago.
Kac und seine Kunst einer Kategorie zuzuordnen, ist unmöglich. Einmal
philosophiert der Künstler hintergründig über die Rolle der Wissenschaft in der
Gesellschaft und lässt dabei ein umfassendes wissenschaftliches Fachwissen
erkennen. Dann wieder überrascht er seine Zuhörer mit Vereinfachungen, die aus
einem billigen Sciencefiction-Roman stammen könnten: «Ein Künstler», sagte Kac
in einem Interview, «könnte neue Lebensformen erfinden oder erschaffen, die auf
dem Mars leben könnten.»

Mit seiner Ausstellung «Genesis», die derzeit in Chicago zu sehen ist, zeigt Kac,
dass ihm die Ideen für ungewöhnliche Lebensformen nicht ausgehen. Im Zentrum
des Austellungsraumes steht eine Petrischale mit Bakterien, die eine Art Kreuzung
zwischen Bibel und Biologie verkörpern: In ihren Genen tragen sie einen Satz aus
dem ersten Buch Mose. Kac hat die Worte «Machet die Erde euch untertan und
herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über
das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht» in den Morse-Code
übertragen und nach selbst ausgetüftelten Regeln in den biologischen Code der
Gene übersetzt. Das Resultat nennt er «Künstler-Gen» und hat es mit Hilfe eines
Spezialisten ins Bakterienerbgut eingepflanzt. Via Internet kann ein UV-Licht über
den Bakterien eingeschaltet werden, was Veränderungen im Erbgut der Bakterien
auslöst und den Satz letztlich in Kauderwelsch umwandelt.

Eine in die Irre gelaufene, verrückte Wissenschaft? «Es ist Kunst», erwidert Kac
und argumentiert, er benutze zwar dieselben Werkzeuge wie die Gentechnik, doch
bestätige er diese Technik nicht in ihrem Tun, sondern halte ihr einen Spiegel vor.

Kac spricht gern über Symbolik. Doch hilft sie ihm wenig in seinem Bestreben, das
Kaninchen «Alba» nach Hause zu holen. Der Aufruf «Free «Alba»!» auf seiner
Website stiess bisher auf taube Ohren. Vielleicht deshalb, weil manche Menschen
keinen Sinn darin sehen, im Namen der Kunst ein Kaninchen grünlich zu färben.
«Solche Leute sehen auch in der übrigen Kunst keinen Sinn», antwortet Kac. «Für
sie ist Kunst da, um das Wohnzimmer passend zum Sofa zu dekorieren.»



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