In: Gerfried Stocker/Christine Schöpf: LifeSciences. Ars Electronica. Wien New York 1999 (engl./deutsch). S. 30-46 <http://www.uni-frankfurt.de/fb09/kunstpaed/indexweb/mv/te/netsy.htm>


Birgit Richard

Biologie und Fake Life Construction • Kommunikationssplitter aus dem Netzsymposium zu LifeScience

Vorbemerkung

Wie in den vergangenen Jahren wurde auch im Vorfeld der Ars Electronica 99 ein Netzsymposium zum Festival-Thema veranstaltet.
Dieser Beitrag unternimmt den schwierigen Versuch, den Stand des seit 20. April laufenden Netzsymposiums der Ars Electronica zusammenzufassen. Dabei ergibt sich eine Mischung aus den Eingangsstatements und der kommentierten Zusammenfassung der thematisch wichtigsten, interessantesten und provokativsten Postings der Mailing List.
Intro
Gen- und Biotechnologien gestalten in immer größerem Ausmaß Pflanzen und Tiere, also die lebendige Umwelt des Menschen, und schaffen damit unumgängliche und künstliche Lebensstrukturen. Diese alltägliche Konstruktion und Produktion von Natur provoziert starke Ablehnung, obwohl es sich im Grunde um einen Vorgang handelt, den der Mensch seit Anbeginn der Zivilisation vollzieht. Geht es jedoch um den Einsatz von Gentechnologie im Dienste der Medizin, zur schrittweisen Abschaffung von Krankheiten, letztendlich also um die “Verbesserung” des “gebrechlichen” Menschen, so findet diese Technologie breite Zustimmung.
Ein Argument für eine Produktion von Medizin und Nahrung auf gentechnologischer Basis ist, jedes Individuum zu bedienen und auf seine Einzigartigkeit reagieren zu können. Die Tatsache der Standardisierung des Besonderen wird verdeckt. Da es sich um eine industriell motivierte Produktion handelt, werden Standards benötigt. Selbst gentechnologische Produkte, die für viele unterschiedliche Marktsegmente in einer stark individualisierten Gesellschaft produziert werden, streben nach Standardisierung und Normierung des Biologischen.
Kunst und Wissenschaft gehen auch im Bereich der Life Sciences punktuelle Verbindungen ein. Permanent steht die systhemtheoretische Frage nach der Zuordnung zu dem einen oder anderen System im Hintergrund der Diskussion.
Das konservative Argument, Kunst müsse erst abwarten, um die Entwicklung der Technologie zu beurteilen und sie selbst einzusetzen, verhindert den Entwurf von utopischen Gestaltungen. Das Bewusstsein für Potenzial und Gefahren einer neuen Technologie zu schärfen, bevor diese Tatsachen geschaffen hat, ist eine wichtige Aufgabe der Kunst. Technische oder auch Interpretationsstandards werden schnell als Tatsachen hingenommen. Mit der Projektion von zukünftigen genetischen Welten regt die Kunst die Kommunikation an.
Einstieg 1: Feldbeschreibung
Eugene Thacker nimmt eine strukturierende Klärung des theoretischen Feldes vor und unterscheidet zwischen folgenden Kategorien:
• Biotech, Biotechnologien: technologisch basierte Forschung wie DNA-Chip; Forschung im Bereich von nachwachsenden Biomaterialien und der Stammzellen; regenerative Organe und die Struktur von administrativem, ökonomischem und wissenschaftlichem Komplex.
• Cloning & Genetic Engineering: geklonte Tiere; das Klonen von menschlichen Embryonen; transgene Organismen.
• Genomics: das “Human Genome Project” und weitere kommerziell getragene Projekte, die der Kartierung und Interpretation der Gene dienen; die Genome der Tierwelt; Automatisierung von genetischen Technologien und Bio-Informatik.
• Artificial Intelligence & Artificial Life: selbstemergente Systeme, neuronale Netze.
• Biopiracy: Das Projekt “Human Genome Diversity”; neue Ansätze von Soziobiologie und Eugenik; Bio-Kolonialismus als Entwendung von biologischem Material von “anderen” Kulturen und deren Verwertung; ethnische Verfasstheit; Erbkrankheiten; das Patentieren biologischer Materialien; die Frage nach dem Eigentum.
• Ag-Bio & Pharming: Transgene Lebensmittel und Pflanzen; Novel Food; medizinische Zucht von Materialien für Xenotransplantation und Bioremediation.
• Medizinische Genetik und Immunologie: Gentherapie und neue Reproduktionstechnologien.
Einstieg 2: Gesellschaft und Militär
Gerfried Stocker beschreibt die Life Sciences als neue Schlüsseltechnologie und als Boten einer biologischen Revolution, die suggerieren, das Versprechen der Heilung aller Krankheiten und eines gesunden, schönen und ewig langen Leben nun umzusetzen. Bio- und Gentechnologien nicht weiter voranzutreiben, verstoße gegen einen unausgesprochenen moralischen Imperativ der westlichen Gesellschaften. Angesichts von Hunger und Krankheit müsse man jedes technische Mittel zur Lösung dieser Probleme zum Einsatz zu bringen, so die Argumentation für einen flächendeckenden Einsatz.
Gentechnologie vollzieht sich im Rahmen eines globalen Kapitalismus und kann, so die Bemerkung von Eduardo Kac, einen neuen Gen-Kolonialismus hervorbringen. Anzeichen hierfür zeigen sich vor allem in den Patentierungsverfahren der gentechnologischen Industrie. Rechte und Lebensbedingungen der Spender oder der neu entstandenen Wesen sind in diesen Verfahren ausgeklammert.
Neue infotechnische Werkzeuge markieren auch bei einem Einsatz in der Kunst Grenzen und Tabus westlicher Kulturen. Mit dem Eingriff in seine konstituierenden Grundlagen wird Leben selbst redefiniert. Genetische Eingriffe im “vormenschlichen”, zellularen Stadium präformieren menschliches Leben. Diese Veränderungen gehen weit über die sichtbare morphologische Ebene des Körpers hinaus.
Gerfried Stocker betont in seinem Eingangsstatement die immense Wichtigkeit der künstlerischen Entwürfe. Besonders die Erfahrungen und Methoden der Medienkunst können beim Umgang mit der brisanten Thematik der Life Sciences hilfreich sein. Künstlerische Kommunikationsobjekte sollen die legitimen Ängste vor einem biologischen Armageddon nicht forcieren, aber auch nicht abbauen, sondern ins soziale Bewusstsein führen (legitime Ängste angesichts von Bhopal, Tschernobyl, BSE …).
Georg Schöfbänker [siehe den Beitrag von Georg Schöfbänker in diesem Buch] sieht neben dem Einsatz von biometrischen Verfahren wie dem “genetischen Fingerabdruck” oder der genetischen Diagnostik die große Gefahr im Einsatz von biologischen Waffen, der “Atombombe des kleinen Mannes”. Bezüglich des Einsatzes neuartiger biologischer Waffen auf genetischer Basis erhoffen sich die Militärs eine Art Bio-Cruise-Missile, die ausschließlich andere Ethnien trifft. Die genetischen Biowaffen soll das “Friendly Fire” nun endgültig ausschließen. Diese Vorstellungen sind genauso utopisch wie die Annahme, der von den Amerikanern entwickelte Pilz wäre nur für in Südamerika angebaute Drogen tödlich und bliebe ohne Folgen für Vegetation und Menschen.
Einstieg 3: KünstlerInnen als BioterroristInnen?
“Wo kollektiver Irrsinn regiert, ist es vielleicht Zeit, dass kreative Bakterien die Regie übernehmen.” (Trevor Batten)
Könnte eine neue Rolle der KünstlerInnen die eines freundlichen Bioterroristen sein, dessen “Anschläge” nur fiktive Opfer fordern? Oder geht es so weit, wie Trevor Batten imaginiert: Können wir uns darauf freuen, viel Geld dafür zu bezahlen, um in den Genuss zu kommen, das erste Opfer einer neuen Art von tödlicher ansteckender Kunst zu sein?
Trevor Batten erfindet für das Netzsymposium Nachrichten über die kommerzielle Produktion von Klonen, z. B. über die Firma B-Gen-Tech Inc., die neue Organismen und Wesen erfindet, wie lebendige Sphinx-Klone, die als Souvenir für Touristen geklont werden. Die Sphinx für Ägypten, Pegasus für Griechenland, für Italien die Jungfrau Maria … Über das Vorbild für einen Frankenstein Klon entspinnt sich ein Streit: Soll nach Boris Karloff oder Mary Shelley geklont werden? Außerdem infiziert der fiktive Biokünstler Frankie Steyn die Katze von Deutschlands Bundeskanzler Schroeder mit dem Millennium Bug.
Die Absurdität des Klonens und die visuelle Ununterscheidbarkeit von Klonen und Original wird durch eine fiktive Aktion des Klons Birgit Richard #2 herausgearbeitet: Sie treibt eine Herde von Schafen auf einen städtischen Platz. Birgit Richard #2 ist die Urheberin dieser Schafherde. Sie behauptet, diese eigenhändig geklont zu haben. Niemand wird auf der Stelle das Gegenteil beweisen können, weil die Schafe alle ähnlich aussehen.
Marcel Duchamp verdeutlichte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit Trois Stop-pages Etalon, dass der Mensch die Maße bestimmt, sie nicht etwa gottgegeben sind oder “Gesetzen der Natur” entstammen. Gentechnologisch hergestellte oder motivierte Kunstwerk sollen Fragen zu sozialen Konzepten aufwerfen, z. B. zur Definition der Abweichung von der Norm. Gentests, Verbesserung des Genmaterials und Gentherapie streben eine “Normierung” des Körpers an. Die Vorstellung von perfekten und genormten Körpern lässt eine Thematik wie die der Eugenik wieder am Horizont auftauchen. Ein umfassender “kolonialer” Aneignungsprozess von Leben zeigt sich in den vielen angemeldeten Patenten für Tiere und Pflanzen, für transgene Organismen und für die Mikrostrukturen des menschlichen Körpers, in die die Gene eingebettet sind. Nach der äußeren Formung des Körpers durch Schönheitschirurgie, Workout und Chemie findet nun die Besetzung des menschlichen Körpers von innen statt.
Im Angesicht der Gentechnologie kann die Kunst durch ihre Konzepte klarmachen, dass hier Menschen am Werk sind und es keine zwangsläufige Entwicklung gibt, d. h. alles veränderbar ist. Wenn die Kunst mehr tun will als einen Kunstmarkt mit Objekten zu versorgen, muss sie Kommentare zu den Verfahren der Visualisierung, der Kartografie und der Interpretation der eigentlich unsichtbaren Vorgänge der Biotechnologien äußern. Der Biokünstler Eduardo Kac konstatiert, dass die biologischen Prozesse für die Kunst immer wichtiger werden. Sein Ansatz als Künstler besteht darin, gemeinsam mit Gentechnikern genetische Werke zu erschaffen.
Transgene Moral
Wie Kac richtig feststellt, spielen in diesem ökonomisch definierten Feld soziale Themen, moralische Parameter und der historische Kontext keine Rolle. Kac’ Thematik ist die Kreation und die häusliche und soziale Integration transgener Tiere. Er will die kulturellen Auswirkungen der neuen Technologien mit künstlerischen Mitteln untersuchen. Transgene Kunst ist eine neue Kunstform, die künstliche Gene auf einen Organismus oder natürliches genetisches Material von einer Art auf die andere überträgt. Mittels der Molekulargenetik können pflanzliche und tierische Gene vermischt werden. So entstehen einzigartige neue Lebewesen.
Der Künstler präsentiert sich hier als eine Art umgedrehter Noah, der die Wunden der Erde heilt, indem er ausgestorbenen Arten neue, zweckfreie Wesen gegenüberstellt. Die Artenvielfalt der Welt real zu vergrößern, nicht nur zu simulieren, alle Entwicklungsstadien im Auge zu behalten und zu kontrollieren, setzt in der Tat ein sehr entschlossenes Engagement und eine fixe Verantwortung für die neuen auf diese Weise geschaffenen Lebensformen voraus. Biokünstler wie Eduardo Kac stehen vor ähnlichen Fragen wie die Wissenschaftler in den Genlabors: Sie wissen nicht, wie sich eine Lebensform entwickelt und was bei Interferenzen mit anderen Lebewesen natürlicher oder künstlicher Art passiert.
Die “Diskussionsgruppe um das virtuelle Selbst” (Donatella Bigoni, Margherita Cattera, Piero Gilardi, Pier Luigi Gregori, Bruna Piras, Federica Russo, Elisabetta Tolosano) untersucht in ihrem Beitrag zum Netzsymposium eine mögliche Ideologie der biogenetischen Kunst. Transgene Kunst folgt ihrer Meinung nach einem biotechnologischen Modell, das die etymologische Bedeutung der Vorsilbe “Bios” als Erzählung vom Leben umsetzt und eine soziale Verantwortung einschließt. Sie orientiert sich nicht am Begriff der Zoologie, verstanden als Sammlung und Vermehrung des exotischen Lebendigen, die eher die Richtschnur der modernen Gen- und Biotechnologien darstellt.
Green fluorescent proteins von Eduardo Kac und Genochoice von Elizabeth Preatner zeigen eine paradoxe Situation: Transgene Kunst scheint die Kluft zwischen Virtualität und Realität zu schließen. Aber sie muss sich dafür der Mittel des techno-genetischen Komplexes bedienen und verlässt dabei das Feld der ihr eigenen genuinen künstlerischen Mittel. Die Diskussionsgruppe fordert von den KünstlerInnen, der marktorientierten Weiterentwicklung der Life Sciences die subjektive Sichtweise entgegenzusetzen. In der Betonung einer künstlerischen, nicht-linearen Subjektivität wird die Forderung deutlich, dass die Produkte der Life Sciences sich in eine Ökologie bestehender lebendiger Systeme integrieren müssen. Die menschlichen Bedürfnisse innerhalb biologischer Kontexte, die vom ökonomischen Komplex nicht berücksichtigt werden, sollen herausgearbeitet werden.
Auch eine traditionelle Einschätzung der Kunst wird im Netzsymposium formuliert: KünstlerInnen sollen in ihrem Feld bleiben, genetische Kunst berge ein zu großes Risiko, wäre mit zu viel Verantwortung verbunden. Lubica Lacinova nennt die Aktionen der Wissenschaftler als warnendes Beispiel für die Künstler. Die Gentechnologen versuchen, die Mikrostrukturen als Bausteine des Lebens zu verstehen. Sie tun, was möglich ist, ohne alle Folgen abschätzen zu können. Bis zu einem Einsatz der Gentechnologie in der Kunst, so sagt Lacinova, können die Betrachter eine künstlerische Interpretation von Welt übernehmen oder verwerfen. Die Welt verändert sich nicht durch das Kunstwerk. Es gab nie vorher die Möglichkeit, in die biologische Mikrostruktur des Lebens einzugreifen und Veränderungen vorzunehmen, die dem Leben dauerhaft unsichtbar eingeschrieben sind. Mit Kac' transgener Kunst wird eine Grenze überschritten, die es Künstlern erlauben würde, die Formen der lebendigen Welt nach ästhetischen Regeln zu verändern. Für Lacinova ist dieser Schritt vom interpretierenden zum lebensschaffenden Künstler ein großer Sprung in die Ungewissheit.
Eduardo Kac behauptet, die Verwendung der Biotechnologien in der Kunst füge dieser den fehlenden sozialen und moralischen Standpunkt hinzu. Kunst kann aber niemals direkt in Politik oder Ökonomie eingreifen. Sie ist keine moralische Anstalt, auch wenn viele am Netzsymposium beteiligten Künstler ihre heroische Rolle so einschätzen. Die Kunst stellt ihre eigenen Fragen und geht hypothetischen Möglichkeiten nach. Die Fragen der Biotechnologie z. B. nach der Patentierung und dem Verkauf der Gene anderer Völker kann die Kunst nicht beantworten, aber sie kann im künstlerischen System darauf aufmerksam machen, um dann die Diskussion in einem anderen System wie der Politik anzuregen.
Surreale und erzählende Körper
Die Künstler konzentrieren sich auf bestimmte Aspekte einer Thematik, die sie ihnen besonders schön, bizarr, abstoßend, gefährlich usw. erscheinen. Lacinova nennt kein Beispiel, aber vorstellbar wäre, dass sich zukünftige Life-Science-Künstler besonders an den Freaks erfreuen und selbst versuchen, die bizarrsten Mutanten herzustellen. Sie könnten die Mutationen der Wissenschaft adoptieren und zu Kunstwerken erklären. Die Onko-Maus wäre hierfür ein geeignetes Objekt. Würde diese Kunst zu einer Freakshow wie auf dem Jahrmarkt werden oder eine ernst zu nehmende neue Kunstform?
Adam Zaretzky spricht dem Menschen die besondere Fähigkeit zu, Monster, Chimären und Mutationen zu imaginieren. Jetzt könnte der Genetiker die Alpträume der Surrealisten und Horrorfilmregisseure in die Welt setzen. Die Life Sciences machen sowohl künstlerische als auch literarische Imagination zu realistischen Optionen. Der Körper wird zu Kunstwerk und Text transformiert. Er wird aus seiner biologischen Masse in ein digitales binäres Format, in das menschliche Genom, übersetzt und in seiner Ausinterpretation zu einer literarischen Text- bzw. einer visuellen Bilderscheinung. Die Vision des lesbaren Menschen löst die des gläsernen, durchleuchtbaren ab.
Wenn wir eine Welt betreten können, in der die Alpträume der Propheten, Philosophen, Literaten und Künstler wahr werden, wird der Gentechniker unfreiwillig zum Vorbild des neuen Künstlertyps, auch wenn er die surrealistischen Implikationen seines Tuns nicht beabsichtigt. Surreal mutet der utopische Vorschlag an, einen “Humanzee”, eine Schimpansen-Menschen-Mischung, patentieren und erproben zu wollen. Gentechnologische Projekte, die durch ihren surrealen Charakter Aufmerksamkeit erregten, sind z. B. die nachwachsenden Finger, die aus drei verschiedenen Kuh-Zelltypen in Verbindung mit Polymeren gewonnen werden. Der Herstellungsvorgang erscheint absurd: Eingepflanzt werden die Biomaterialien in Mäuse, wo sie wachsen. Es entsteht ein “Composite Tissue” aus Bausteinen der unterschiedlichsten Spezies. An sich sind in der Natur nachwachsende Organe nichts Ungewöhnliches (man denke an Reptilien und Amphibien). Dort haben sie die Funktion, einen körperlichen Schaden auszugleichen oder sich einer Bedrohung zu entziehen.
Die Neugestaltung und Vermischung von menschlichen und tierischen Gliedmaßen, von Haut und Organen erzeugt artistische Traumgebilde, die nicht in der künstlerischen Imagination verharren, sondern real werden. Die Erzeugnisse der Gentechnologie sind ein bedrohliches “Reales” im Lacan’schen Sinne, etwas Nicht-Auflösbares.
Bei dem Projekt der Reanimation des ausgestorbenen tasmanischen Tigers, dessen Durchführung in Australien als moralische Verpflichtung angesehen wird, da die britischen Kolonialherren ihn ausrotteten, führt der Weg direkt in die populäre Kultur, die dieses Prozedere längst in den Bildern von Jurassic Park vorweggenommen hat. Die vom Australian Museum konservierten Föten des Tigers sollen mit anderem Genmaterialien zu einem Genpool zusammengeführt werden, um daraus Klone zu ziehen. Die kommerzielle Verwertung folgt direkt auf dem Fuße, die Vermarktung als Haustier ist geplant.
Die genetische Konstruktion von Geschlecht
Melinda Rackham bringt Verfahrensweisen und strukturelle Komponenten der Veränderung des Körperlichen in die Diskussion, die für die künstlerische Arbeit und für die Neukonstruktion von Geschlecht Bedeutung erlangen können: Kreuzungen, Hybridisationen und Verschiebungen von Gensets werden zu artistischen und Gender-Strategien. Eugene Thacker bezeichnet dies mit dem Begriff des “Flexible Body”. Es ist ein Körper, der durch Datenaustausch der Gene vor der Entstehung einer körperlichen Figuration flexibel gestaltet werden kann, wenn die Datensets manipulierbar sind. Geteiltes Wissen wird für mehrere Körper über die Weitergabe von Gensets möglich. Dabei lösen sich die Selbstgrenzen eines Körpers durch den Einsatz neuer genetisch implementierter Fähigkeiten auf.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist der Einfluss der neuen Biotechnologien auf die Konstruktion der Geschlechter. Faith Wilding verweist auf die Arbeiten des Cyberfeminism (Donna Haraway, Evelyn Fox Keller, VNS Matrix, Old Boys’ Network …), die immer wieder die Frage nach der Repräsentation von Geschlecht und Sexualität in den technologischen Wissenschaften stellen. Besonders die reproduktiven Technologien verlangen eine neue Positionierung hinsichtlich der Fragestellungen nach dem künstlichen und natürlichen Weg der Reproduktion und dessen kultureller und patriarchaler Überformung.
Die genetisch unterstützten Reproduktionstechnologien können von beiden Geschlechtern als Chance oder als Verdammnis gesehen werden: als die Verwirklichung der Junggesellenmaschine, den Versuch einer unabhängigen männlichen Reproduktion, die ohne den nährenden und gebärenden weiblichen Körper auskommt, oder als die Verwirklichung weiblicher autonomer Reproduktion, die das Männliche nur noch als Ingredienz benötigt und zur Steuerung der weiblichen Reproduktivität durch das Einfrieren befruchteter Eizellen übergeht, um sie der eigenen Zeitplanung nach einzusetzen.
Wird Geschlecht anders konstruierbar, wenn es planbare oder identifizierbare weibliche und männliche Anteile gibt, die auch auf der Genkarte zu lokalisieren sind? Kann man ein drittes Geschlecht konstruieren, wie die Genetiker der Universität von Hawaii, die androgyne Klone von Klonen von weiblichen Mäusen hergestellt haben? Speer berichtet außerdem von der Entdeckung von hermaphroditischen Mäusen im amerikanischen Nordwesten, die ohne direkten genetischen Eingriff entstanden sind. Die Natur bringt mithilfe der menschlichen chemischen Verschmutzung ein drittes Geschlecht hervor, das das binäre Geschlechtersystem sprengt. Er entwickelt ganz im platonischen Sinne die Hoffnung auf die Sprengung des männlich-weiblich Dualismus zu einer dritten Form.
Einstieg: 4 Populäre Kultur
Die populäre Kultur breitet Möglichkeiten und Defekte der Gentechnologie narrativ und visuell aus. Sie kündet so trivial wie unverschleiert zu erwartende Probleme an. Praktizierte Gentechnologie ist z. B. ein fester Bestandteil der im Sommer in Europa anlaufenden amerikanischen Cartoon-Serie Southpark [siehe den Beitrag von Birgit Richard in diesem Buch].
Die populäre Kultur widerspricht auch der irrtümlichen Meinung, mit der Entschlüsselung seiner DNA sei der Mensch komplett zu lesen wie ein Buch, da der Zusammenhang der Entwicklung genetischer Information in sozialen Kontexten hier betont wird. Ein Film wie Gattaca räumt mit der verbreiteten Meinung der Allmächtigkeit der Gene auf: Die Bedeutung des “richtigen” genetischen Fingerabdrucks wird infrage gestellt. Der genetische Komplex des Menschen bleibt Konstrukt und abstraktes Simulakrum, wenn er nicht mit einem in einem sozialen Kontext stehenden Körper übereinander fällt.
Pop-Klone: Come to Daddy und Windowlicker
Der Musiker Aphex Twin konstruiert mithilfe des Videokünstlers Chris Cunningham seine Vervielfältigung im virtuellen Raum des Videoklip. Die totale narzisstische Selbst-Klonierung und die Fixierung auf das eigene Gesicht sind Hauptthema seiner Videos [siehe den Beitrag von B. Richard in diesem Buch].
Im Netzsymposium wird der Aphex Twin (der beim diesjährigen Prix Ars Electronica die Goldene Nica in der Sparte Digital Musics gewann) als kommerzielle Erscheinung abgelehnt, da er der populären Kultur zugeordnet ist. Seine sehr experimentelle Ambient- und Industrial Music gilt als Massenprodukt. Seine Akzeptanz in der populären Kultur disqualifiziert für einen künstlerischen Anspruch. Dass auch Künstler vom Kunstwerk als Ware leben, wird dabei übersehen. Es ist eine sorgsam gepflegte Ideologie, Kunst wäre über die Warenförmigkeit anderer Bereiche erhaben. Melinda Rackham bemängelt in der Diskussion die leichte Zugänglichkeit der Videos, ein Merkmal, das für sie die populäre Kultur von der Kunst trennt. Aber schon die falsche Bezeichnung dieser Bilderwelt als “gothic” zeigt, dass auch für das Verständnis der populären Kultur ein Wissen um die verwendeten Codes nötig ist. Sonst werden hier artistische Strategien wie Parodie (Windowlicker parodiert die G-Funk/HipHop-Musikvideos) nicht gesucht und verstanden, obwohl sie vorhanden sind.
Melinda Rackham plädiert für die inneren Werte, die im Kunstwerk stecken und nur durch die Kontemplation hervorgeholt werden können. Für sie ist das etwas Erstrebenswertes, was Massenkultur nie erreichen kann. Einige der am Netzsymposium beteiligten Künstler beklagen die Zunahme von Konkurrenz aus dem “populären” Bereich und versuchen sich abzugrenzen, da sie sehr wohl die Qualität dieser “außerkünstlerischen” Äußerungen sehen und fürchten.
Einstieg 5: Das Genom Projekt als Enzyklopädie, als “Buch des Lebens”
Speer postet eine Nachricht über einen gelungenen Versuch, einen DNA-Strang als kryptografischen Datenträger zu benutzen. Damit wird eine Spionage-Strategie der Nazis im Zweiten Weltkrieg aktualisiert, bei der eine Nachricht auf einem mikroskopisch kleinen Punkt untergebracht wurde. Der Molekularbiologe Carter Bancroft (Mount Sinai School of Medicine, New York) entwickelte ein Verfahren, das es erlaubt, eine codierte Nachricht in einem DNA-Strang zu verstecken. Ein künstlicher DNA-Strang wird mit einem gleich langen Strang menschlicher DNA vermischt. Diese Mixtur wird auf ein bedrucktes Papier aufgebracht und dann mit der Post verschickt. Beim Empfänger angekommen, wird die DNA extrahiert, der entscheidende Abschnitt millionenfach reproduziert und gelesen. DNA eignet sich hervorragend auch als Trägermaterial für riesige Datenmengen. Die Kryptologie verlagert sich in Mikrostrukturen.
Biocomputing lässt das Schreiben und Lesen dieser geheimen Nachrichten zu einer Tätigkeit im Biolabor werden. Das Einschreiben und Auslesen aus dem Körper erfolgt nicht mehr im kafkaesken Sinne durch die Beschädigung der Oberfläche.
Eine weitere Wissenschaft ist die Biosemiotik, die interpretiert, welche Kommunikations- und Bezeichnungsvorgänge in lebenden Systemen vollzogen werden. Adam Zaretskys Beitrag skizziert den dualen Prozess des Transfers zwischen Biologie und Informationstechnologie. Menschen werden zu semiotischen Systemen, die nach einem bestimmten Schlüssel decodierbar und für einen bestimmten Zweck benutzbar sind. Virtuelle Menschen werden in Form von Datensets online in verschiedenen Datenbanken gelagert sein (z. B. GDB, GSequenceDB, GENBank, EMBL, DDBJ). Vielleicht gibt es Bemerkungen, Fußnoten, die man in Zukunft als Kommentare der eigenen DNA beistellen kann. Es ist aber eher zu erwarten, dass die Kommentare von den ökonomischen Interpretatoren stammen.
Ricardo Dominguez postet in diesem Zusammenhang einen Artikel von Kristen Philipkoski (http://www.wired.com/news/news/technology/story/20395.html), der sich ebenfalls mit der Interpretation genetischer Daten beschäftigt. Schnellere Computer und bessere Speichermöglichkeiten führen dazu, dass die Wissenschaft schneller Daten generiert, als sie verwerten kann. Nicht der Zugang zu den Informationen ist das Problem, sondern die Interpretation und Integration des Datenmaterials. Damit interpretieren nicht mehr die Wissenschaftler die Daten, die sie erzeugen, sondern Firmen wie Lion Bioscience AG (Heidelberg) mit einer speziellen Software wie BioScout.
Die I-Biologie soll die Verbindung zwischen Informations- und Gentechnologie herstellen. Sie schafft eine Plattform, die interpretierte genetische Daten verkauft. Damit kommt es zur ökonomischen Präformierung wissenschaftlicher Ergebnisse. Software wie BioScout macht Daten unterschiedlicher Datenbanken nutzbar. “Data Management” wird diese neue Form der Vermarktung von genetischem Datenmaterial genannt. Nur wer Daten auswerten und mit den richtigen Daten in Verbindung bringen kann, wird aus abstrakten Datenmengen Profit schlagen können.
Mehrfach codierter Biotext
Eine Methode wie die genetische Semiotik reduziert den Menschen auf ein lesbares Set von Codes. Dem vom industriellen Komplex der Life Sciences und der angeschlossenen Softwareindustrie aufgebauten Mythos, der Mensch wäre Gefangener der Struktur seiner Gene, steht entgegen, dass die Gene als dynamische, emergente und komplexe Mikrostrukturen des Körpers in einen sozialen Kontext eingebettet sind und beispielsweise auch durch soziale Beziehungen oder Nahrungsgewohnheiten bestimmt werden.
Eugene Thacker macht klar, dass es ein Irrtum sei anzunehmen, die genetische Semiotik liefere eindeutige und neutrale Ergebnisse, die unabhängig vom Standpunkt des Interpretierenden wären. Anhand von wissenschaftstheoretischen Modellen wie dem Konstruktivismus ist die These, es gäbe nichts außerhalb einer genetischen Wahrheit, problemlos widerlegbar. Die genetische Analyse ist mehrfach gebrochen, da das genetische Mapping eine Visualisierung erfordert, die ebenfalls nicht neutral ist. Die mikrostrukturellen Veränderungen der Gentechnologie sind ohne Visualisierung nicht durchführbar. So folgen Interpretation und Veränderung dem vorgeschlagenen Visualisierungskonzept. Es spricht also nicht das Gen selbst zu uns und wird sichtbar, sondern ein menschliches Wesen ist der Mittler. Visualisieren und Systematisieren sind dabei ein notwendiger Akt, mit dem der Mensch sich die Technologie zugänglicher und verwertbarer macht.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den Thacker in die Diskussion einbringt, ist der Verweis auf den bioindustriellen Diskurs über den Menschen, der davon ausgeht, die Einzigartigkeit des Menschen wäre in seiner Genkonstellation zu finden, womit der biologische Körper allein menschliche Subjektivität definiere. Damit wird das christliche Körper-Seele-Paradigma auf den Kopf gestellt und mit ihm die Frage nach der Hinfälligkeit des Körpers.
Genetische Loops gegen den Tod
Sean Cubitt und Eugene Thacker werfen im Netzsymposium auch die Frage nach der Unsterblichkeit des Körpers auf. Die populäre Auffassung von Biologie impliziert immer die Dualität von Tod und Leben bzw. Reproduktion. Diese Wissenschaft präsentiert sich konstruiert um diese binären Pole. Nicht umsonst heißt es “Life” Sciences, der Tod ist hier bewusst ausgeklammert und bleibt Feind Nummer eins.
Thacker berichtet von der Arbeit der Biotech-Wissenschaftler an den Telomeren, den Enden eines Chromosoms. Diese sind einem zeitlichen Verfallsprozess unterworfen, der den Wissenschaftlern Anlass zu der Vermutung gibt, dass diese auch für den gesamten Degenerationsprozess von Zellen im Körper verantwortlich sind. Daraus entwickelt sich der Wunsch nach der unsterblichen Zelle, die das Mikromodell für den unsterblichen Körper ist.
Thacker sieht den Tod als eine notwendige Tatsache für ein ökologisches System. Auch ein säkulares Konzept des Todes wie der Freud’sche Todestrieb sieht den Tod als irreversibel und lebensformend. Der Tod gibt dem Leben eine lineare Struktur, die mit der Gentechnologie verlassen werden könnte. Mit Eingriffen und Veränderungen im lebendigen Körper erscheinen am Horizont das Durchleben von unterschiedlichen Jugendlichkeitsloops oder vielleicht sogar unterschiedlichen Biografien. Durch das Klonen kann es zu einer zweiten Lebenserzählung kommen, aus den eingefrorenen Klonen von Toten oder einer befruchteten Eizelle kann Leben entstehen. Der Tod ist nicht mehr Endpunkt, sondern ein Punkt inmitten einer endlos verketteten, nicht mehr chronologischen Generationsfolge.
Die Utopie wäre, die Prozesse der zellularen Reproduktion im Körper zu unendlichen, gleichförmigen und vorhersehbaren Schleifen zu machen. Diese Neuprogrammierung des Körpers geht vom Tod als “Bug”, als Fehler, aus. Die Genetik dient als Unsterblichkeitstechnologie dem “Debugging” des vergänglichen Körpers, den die Life Sciences nun als Programmierfehler enttarnen.


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