This version was first published in German in Interferezen, (N. 2/3), 1996, pp. 7-12. Translated by: Dieter Borgstedt.


JENSEITS DES RÄUMLICHEN PARADIGMAS -
ZEIT UND FILMSTRUKTUR IN DER HOLOGRAFISCHEN KUNST

Eduardo Kac


Die Holografie ist unter den neuen Technologien, die heute die Medienlandschaft verändern, die wohl noch unverstandenste. Die wenigen großen Ausstellungen und wissenschaftlichen Schriften zur Holografiekunst vermitteln oft den Eindruck eines unübersichtlichen Gebiets. Eins der weitestverbreiteten Irrtümer besteht darin, die Möglichkeit der Holografie, illusionistische dreidimensionale Bilder zu erzeugen, für ihre Haupteigenschaft zu halten.1 Dieses Mißverständnis beruht einerseits auf unerfüllten Erwartungen und falschen Vergleichen mit anderen Medien und andererseits auf nachlässiger oder kaum vorhandener wissenschaftlicher Forschung.2 Ich behaupte, daß diejenigen, die eine undifferenzierte Vorstellung von der Holografie haben, mit deren signifikanten Eigenschaften und Richtungen nicht vertraut sind.3

Dieser Aufsatz versucht zu zeigen, daß die Holografie ein komplexeres ästhetisches Phänomen ist, als es vielen erscheint. In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Holografie als perspektivisches System. Im Zentrum steht vielmehr die Rolle der Zeit der Holografie. Eine Reihe von Künstlern thematisieren in ihren Arbeiten auf ästhetisch überzeugende Weise die Holografie als “Zeitbasiertes Medium”. Die Erforschung der Zeiterfahrung in der Holografie wird, so hoffe ich, die künstlerischen Potentiale des Mediums sowohl in technischer als auch in ästhetischer Hinsicht offenlegen.

Experimentelle Holografie und “Photonic Cinema”

In einem Artikel über die Charakteristika des digitalen Kinos schreibt Gene Youngblood: “Das Kino ist die Kunst, einen Strom von audiovisuellen Ereignissen in der Zeit zu organisieren. Das Kino ist ein Erlebnisstrom wie die Musik. So wie es unterschiedliche Musikinstrumente gibt, gibt es vier verschiedene Medien, mit denen wir Kino praktizieren Können: Film, Video, Holografie und strukturierter digitaler Code. Natürlich hat jedes Medium unterschiedliche Eigenschaften und steuert seinen eigenen Beitrag zur Theorie des Kinos bei. Jedes einzelne Medium erweitert unser Wissen darüber, was Kino sein kann und was es bewirkt.”4 Youngbloods Beobachtung ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil sie die Holografie nicht als eine dreidimensionale Bildtechnik, sondern als ein zeitorientiertes Medium versteht und ihr damit eine vierte Dimension einräumt. Zeit manifestiert sich in der Holografiekunst nicht als eine Folge von Bildern wie im Film, sondern vor allem in der Variabilität und Betrachterabhängigkeit der immateriellen, schwebenden Lichtformen.

Auch unabhängig von den Möglichkeiten des digitalen holografischen Films der Zukunft erfordert die multimediale Eigenschaft des Computers eine Neudefinition oder erweiterte Definition dessen, was Holografie ist oder sein kann. Anders als der lineare Ereignisstrom im Film oder in der Musik, sind vierdimensionale Hologramme “flottierende Ereignisse” ohne Anfang und Ende. Der Zuschauer kann mit der Betrachtung an jedem beliebigen Punkt beginnen. Zeit ist kein Kontinuum mehr, sondern kann nun vor-und rückwärts fließen. Ob computergeneriert oder nicht, Hologramme, die auf einen beweglichen Betrachtersstandpunkt angelegt sind, werden zu interaktiven Ereignissen. Sie können in jede Richtung “gelesen” werden - abhängig von der relativen Position der Betrachter. Viele Hologramme und Holografie-Installationen, die heute entstehen, verwenden elektronische und digitale Bilder und setzen Medien wie Fotografie, Film und Video ein. Diese Arbeiten entwickeln einen Zeitbegriff, der vor allem durch einen ständigen Wechsel der Perspektive und durch kontinuierliche Transformationen geprägt ist.

Im Unterschied dazu sind viele der Hologramme, die von Wissenschaftlern oder Werbeholografen produziert werden, statisch oder setzen nur eine geringe Beweglichkeit voraus, da die dreidimensionale Abbildung auf traditionelle Art und Weise holografiert wird. Hologramme, die auf diese Weise hergestellt werden, betonen Raum statt Zeit, Volumen statt Bewegung.
Man muß die technische Entwicklung automatischer, bildproduzierender Systeme vom frühen 19. Jahrhundert bis heute nicht in allen Einzelheiten darstellen, um sie als Voraussetzung für die ästhetischen und materiellen Eigenschaften der heutigen digitalen Synthese der holografischen Bilder zu verstehen. Die Fotografie war der erste Versuch, die Malerei in deren Abbildungswahrheit zu überbieten. Als nächste Stufe der Entwicklung technischer Abbildungsverfahren versuchte man, Bewegungsphasen darzustellen. Muybridges fotografische Bewegungsanalysen und Mareys Chronofotografie bahnten so den Weg für das Kino. In der Nachfolge zeigten Edison und die Gebrüder Lumière, daB Bilder selbst in Bewegung versetzt werden können, um auf diese Weise ein aufgezeichnetes Ereignis als einen zeitlichen Ablauf darzustellen. Später eliminiert die Videotechnologie die zeitliche Kluft dem aufgenommenen Ereignis und seiner Wiedergabe und verstärkt damit die Kongruenz von Darstellung und dessen Referenz.

Dadurch, daß der Computer die beliebige Manipulation von Fotografien ermöglicht, hat er wesentlich dazu beigetragen, den Wahrheitsanspruch der Fotografie zu unterlaufen. So, wie die Fotografie im 19. Jahrhundert bewirkte, daß die Malerei ihre Entwicklung neu überdenkt, so übt der Computer heute einen ähnlichen Einfluß auf die Fotografie aus. Wie paßt nun die Holografie in diesen Kontext? Hologramme werden häufig aus sekundären Quellen, wie zum Beispiel Fotografien, Videos, Filmen, Computergrafiken oder technischen Aufnahmesystemen synthetisiert.

Mixed Media - Mixed Memories

Der amerikanische Künstler und Holograf Dean Randazzo verwendet für seine äußerst ästhetischen holografischen Werke Computer, Video, Film und Fotografie.5 Arbeiten wie “Pasqualina Nº2” (Abb. Nr.1) zeigen, wie der Künstler sehr persönliche Aufnahmen und präzise technische Sensibilität miteinander verbindet. Die schichtweise aufeinander liegenden Bilder erhalten ihre räumliche Tiefe durch eine ausgeklügelte kinetische Lichtführung. Randazzo produziert für jedes Werk ein Muster der fotografischen und kinematografischen Aufzeichnung eines Familienereignisses, das zeitlich klar definiert ist. Anschließend ersetzt er die Zeitreferenz durch Bilder, die mehr als fünfzig Jahre zuvor entstanden sein könnten. Viele der alten Originalnegative, die Randazzo verwendet, sind beschädigt, ihre Silberschicht ist durch das Alter angegriffen. Randazzo sieht in diesen Bildern eine Möglichkeit, den Verlust des Erinnerns darzustellen. Seine Hologramme, die Spuren von verschwindenden Gesichtern und Körperteilen sowie fragmentierte Landschaften zeigen, öffnen dem Betrachter eine Tür zu seiner eigenen Erinnerung.

In einigen Arbeiten verwendet Randazzo den Computer, um Oberflächen zu animieren oder Tonwerte alter Fotos und Filmausschnitte zu manipulieren. In “Reliquary study Nº 2” (Abb. 2) wird das Porträt einer Frau digital in sukzessiv sich ändernde Farbtöne zerlegt. Gleichzeitig bewegt sich im Hologramm das Bild eines kleinen rotierenden Gegenstandes,welches stereoskopisch gespeichert wurde. Durch die Doppelbelichtung von Computerbildern mit Stereogrammen entsteht eine komplexe Animation, die den Eindruck erweckt, als fielen Jahrzehnte des Zerfalls in einem einzigen holografischen Ereignis zusammen. Randazzos Arbeitsweise beginnt mit dem Sammeln von Bildern aus der Vergangenheit, die mit Lichtgeräten aufgenommen wurden. Anschließend bearbeitet er diese Bilder mit weiteren fotografischen Techniken, manchmal durch Filmschnitt oder Computeranimation. Die daraus entstandenen Bilder werden wiederum holografisch bearbeitet und dadurch wieder zu Licht. Seine Bilder Zeigen, daß, wenn Fragmente der Erinnerung ans Licht gebracht werden, eine neue Welt zu entdecken ist.

Licht-Choreographien

Eine der kompliziertesten und interessantesten Formen holografischer Arbeit ergibt sich aus der Modulation von Lichtstrukturen, in denen das Licht selbst das eigentliche Ausdrucksmittel ist. Lichtkunst in Bewegung, frei von Bezügen zu physischen Objekten, wirkt im Medium der Holografie wie ein kleines optisches Wunder. Künstler wie Rudie Berkhout, Paul Newman and Vito Orazem schaffen subtile Choreographien von Lichtformen, die kommunikative Funktion besitzen. Sie sprechen die Assoziationsfähigkeit an und kreieren zugleich nichtgesehene Lichterscheinungen. In ihren Arbeiten werden dynamische Manipulationen des Lichts zu einem Spiel zwischen Werk und Betrachter. Berkhout, Newman und Orazem untersuchen nicht das Verhalten von Licht auf Oberflächen, wie es z.B. Moholy-Nagy in seinen Fotogrammen tat, sondern sie thematisieren die Manipulation, Aufnahme und Rekonstruktion von Lichtphänomenen.

Als ein Pionier der Holografiekunst begann der niederländische Künstler und Holograf Rudie Berkhout Mitte der 70er Jahre sein Interesse für die Raumeigenschaften des Hologramms mit der Manipulierbarkeit fluider Bilder zu verbinden.6 Von anfang an versuchte er, Formen zu vermeiden, die sofort zu identifizieren sind, um so den Betrachter in neue Welten innerhalb der Parameter des holografischen Raumes zu versetzen. Seine Hologramme involvieren den Betrachter auf zweifache Weise: einerseits durch ihre neuartige Komposition, die den Raum als unüberbrückbares Element zwischen Dreidimensionalität und Materie aufhebt, und andererseits durch die raffinierte wellenförmige Bewegung der körperlosen Farben, wie z.B. in “Sketching Away” (1979). Viele von Berkhouts Hologrammen, wie “Ukiyo” (1983), erscheinen als Raum- oder Lichtlandschaft, in denen sich der Betrachter bewegen und verschiedene Perspektiven einnehmen kann. Dabei entstehen zuvor nicht gesehene Formen, die von mehreren Betrachtern zugleich wahrgenommen werden können.
Der Künstler sieht in diesen simultanen Strukturen eine Form der Erfahrung, die auf keine andere Art als durch die Holografie realisiert werden kann.

Während Berkhout versucht, Themen der klassischen Malerei, wie zum Beispiel Landschaft, mit dem Medium Holografie nel zu interpretieren, beschäftigt sich der britische Künstler und Holograf Paul Newman in seiner Reihe “Light Forms” und “Siva’s Dance” mit den Eigenschaften des reinen Lichts.7 Newman operiert mit dem flüchtigen Verhalten von gebrochenem weißen Licht, um fließende Erscheinungen zu produzieren. Daher gibt es in seinen Hologrammen keine einzige konstante Form oder Komposition. Newmans immaterielle Lichtphänomene veranlassen den Betrachter zu einem beweglichen Standpunkt. Die kleinste Veränderung des Betrachterstandpunktes reicht aus, um eine Oszillation des Lichts zu bewirken. Für Newman sind visuelle Klarheit, Lichtintensität und kräftige Farben die eigentlichen Qualitäten des Hologramms, die in unendlichen Variationen zu kombinieren sind. Seine Bilder sind nicht vorausgeplant. Sie ergeben sich aus seinen Experimenten im Labor.

Mit einem sehr guten Auge für Lichtbrechungen und -bündelungen lenkt Newman kohärentes Laserlicht durch eine Ansammlung von Linsen, geschliffenem und gebrochenem Glas, opaken Filtern und anderen Materialien. Diese Arbeitsweise setzt zwar eine gewisse Planung voraus, das künstlerische Resultat ist aber nie vollständig vorauszusehen.

Newman arbeitet mit der Stärke der Holografie, Bilder zu kreieren, die zwischen Vorstellung und Erfahrung liegen. Mit einem ausgeprägten Gespür für Absicht und Zufall, Konstruktion und Dekonstruktion inszeniert er einen Tanz der Spektralfarben.

Obwohl Künstler wie Harriet Casdin-Silver, Melissa Crenshaw, Sidney Dinsmore, Margaret Benyon und Susan Cowles den mimetischen Charakter von Hologrammen in aussagekräftige und häufig politische Statements überführt haben, ist es nicht von der Hand zu weisen, daß vielen gegenständlichen Hologrammen, die unter der Rubrik “Kunst” gezeigt werden, intelligente Visualisierung und konzeptionelle Präzision, wie sie in den Arbeiten von Berkhout, Newman und Orazem zu finden sind, fehlen.

Der Künstler und Holograf Vito Orazem lehnt die gegenständliche Holografie (representational holography) grundsätzlich ab, da sie dem traditionellen Illusionismus zu sehr verhaftet ist und so von den spezifischen Qualitäten des Mediums ablenkt.8

Ebenso wie Newman erkundet er die Ästhetik des Lichts in Bewegung. Orazem, geboren in Slowenien, lebt heute in Deutschland und hat bis 1993 mit dem deutschen Holografen Thomas Lück zusammengearbeitet.

Orazem und Lück haben seit 1990 eine Reihe von Installationen produziert, (wie z.B. HOE-TV, Abb.3,4) in denen sie Holografie, Video und Computeranimation miteinander verbinden. In diesen Installationen wird das Hologramm weder als visuelles Display betrachtet wie in den Arbeiten Berkhouts, noch, wie bei Newman, als ein Mittel, die Bewegungen der Spektralfarben aufzunehmen und wieder abzuspielen.

Orazems und Lücks Hologramme zeigen keine Bilder. Es sind HOEs, holografisch-optische Elemente. Das sind Hologramme, die keine abbildende Funktion besitzen, sondern wie eine Linse, ein Spiegel oder eine komplexe, optische Komponente funktionieren. HOE werden selten in der Kunst verwendet, und noch seltener in einer so radikalen und kreativen Form, wie sie von dem deutschen Team entwickelt wurde.

Die Installationen Orazems und Lücks bestehen aus einem Videomonitor mit Bildrauschen oder schwarzweißen Computeranimationen und einem großen HOE, das vor dem Monitor plaziert ist. Die ansonsten übliche Halogenlampe als Lichtquelle für das Hologramm wird durch einen Monitor mit unterschiedlichen Farben, Kontrasten und sich bewegenden Formen ersetzt. Das Hologramm ist so konzipiert, daß es Licht aufnimmt, verändert und als mehrfaches optisches Echo wiedergibt. Auf diese Weise lösen die ineinanderblendenden Farben eine beruhigende und meditative Stimmung aus. Das Resultat ist ein cineastisches Ereignis, das die zeitliche Linearität der Computeranimation mit den räumlichen und farbigen Qualitäten des Hologramms verbindet.

Das Duo installiert seine Arbeiten vorzugsweise in geschlossenen Räumen, um so eine Beziehung zwischen Architektur und neuen Medien herzustellen. Dazu integrieren sie HOEs in Wände und Türen und statten den Raum mit mehreren Bildschirmen aus. In ihrer Installation “Diffracted Wall” (Abb. 5) experimentieren sie mit der Idee einer virtuellen Wand, in der an die Stelle der physischen Barriere die dynamischen visuellen Eigenschaften der Holografie treten. “Diffracted Wall” wurde 1992 in der Ausstellung “Light and Architecture” in Ingolstadt zum ersten Mal gezeigt. Mit ihrer Arbeit wollen Orazem & Lück eine neue Art der Erfahrung schaffen, in der die Immaterialität des Lichts, Design, Architektur und Kunst miteinander verbunden werden.

Holografischer Film und Video

Im Bereich der Holografiekunst stehen die Arbeiten Orazems und Lücks dem Film am nächsten. Wenn man die Geschichte der holografischen Kinematografie schreiben wollte, müßte man die Spur bis zu ihren wissenschaftlichen Anfängen Mitte der 60er Jahre zurückverfolgen.9 Damals wurden in Laboratorien auf der ganzen Welt experimentelle Apparaturen entwickelt, die mit einem Laser, dem sogenannten Pulslaser, bewegte Bilder aufnahmen. Dazu wurden bei traditionellen Kameras zunächst die Linsen und der Verschluß entfernt und anschließend wurde der fotografische Film der aufzunehmenden Szene direkt ausgesetzt. Die ersten holografischen Filme, die so entstanden sind, waren allerdings nur wenigen Zuschauern zugänglich und konnten nur durch ein kleines Fenster von einer Person zur Zeit betrachtet werden. AuBerdem benötigte man zum Abspielen des Films einen Laser und das Ganze fand in einer Umgebung statt, die Erinnerungen an Edisons Kinetoskope hervorrief.

Vor Mitte der achtziger Jahre wurden holografische Filme ohne wissenschaftlichen Hintergrund vor allem von französischen Filmemachern gedreht. Claudine Eizykman und Guy Fihman, die zuvor am Experimental Cinema Laboratory (LEAC, Université Paris VII) arbeiteten, produzierten 1984 ihre ersten 35 und 70 mm Filme mit bis zu 24 Bildern pro Sekunde.10 1985 zeigten sie ihren Film “Circular Flight of Seagulls”, eine Hommage an Etienne-Jules Marey, in der Ausstellung “Les Immateriaux” im Centre Georges Pompidou in Paris. Im selben Jahr präsentierten Eizykman und Fihman einen neuen 126 mm Film mit dem Titel “Un Nu” (“Eine Nackte”, ein Palindrom) in Paris. Dieser 5-Minuten Film zeigt eine Mumie, die sich langsam bewegt und sich aus ihren Bandagen befreit. Nach und nach wird der nackte Körper einer Frau enthüllt, die aus einem sie umgebenden grünen Licht hervortritt. Der Betrachter hat die Möglichkeit, durch eine Taste den Film rückwärts laufen zu lassen, so daß die junge Frau wieder zur Mumie wird - daher der Titel in Form eines Palindroms.

Lloyd Cross produzierte 1973 das erste Multiplexhologramm.” Diese Art der Holografie wurde in den 70er Jahren sehr populär, da es hier möglich war, herkömmliches 16 oder 35 mm Filmmaterial zu verwenden.

Das Integral-oder Multiplexhologramm ermöglicht eine unabhängige 360° Bewegung in weißem Licht und macht so aufwendige Apparaturen für die Rezeption überflüssig.

Alexander, einer der Pioniere im Bereich des holografischen Films, entwickelte die Technik der Multiplexhologramme in den achtziger Jahren weiter.12 Wie bereits Lloyd Cross in Zusammenarbeit mit Bonnie Kozak in den Siebzigern, entschied sich Alexander dazu, 14 Integralhologramme zu einer Filmrolle zu verbinden. Er entwickelte einen einfachen Mechanismus, der, mit einer fixen Lichtquelle versehen, die Hologramme von rechts nach links durch ein ca. 10 x 20 cm großes Fenster ablaufen ließ und eine Sequenz von bewegten Szenen zeigte. Ein Objektiv vor dem Hologramm vergrößerte die Bilder auf ein Maß von etwa 24 x 32 cm. Der ununterbrochene Fluß der Zeit, charakteristisch für die traditionelle Filmerzählung, wird im holografischen Film aufgehoben. Bewegt sich der Betrachter nach links oder rechts, kann er oder sie Bruchstücke der nächsten Szene oder die vorherige Szene ein zweites Mal sehen. Für seinen 8-minütigen Film “The Dream” hat Alexander die Musik selbst komponiert.

Er zeigt miteinander in loser Reihenfolge verbundene Sequenzen, die chimärische Geisteszustände evozieren. Anamorphotische Ballerinen, eine Verschmelzung von menschlichem Körper und Landschaft, tanzende Paare, die im Raum verschwinden, ein Kind, das mit Würfeln spielt, sind nur einige Szenen des Films. Die Hologramme wurden von Sharon McCormack, einer frühen Mitarbeiterin von Cross, aufgenommen.

Der japanische Holograf Jun Ishikawa und der Filmemacher Shigeo Hiyama von der Tama Art School entwickelten in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Kazuhito Higuchi von der Nippon Telegram and Telephone Corporation seit 1992 vielversprechende Verfahren für den holografischen Film. In dem 40-Sekunden Film “Orgel - A Boy’s Fantasy” verwendet das Team acht Schnitte und experimentiert mit verschiedenen Techniken, u.a. mit Stop-Trock, Panoramabildern, erhöhter Tiefenschärfe und Überblendungen.13 Dieses Werk, das unvermeidbar Vergleiche zum Kino des späten 19. Jahrhunderts evoziert, ist ein hervorragendes Beispiel für die Anfänge des holografischen Kinos als Medium und Kunstform.

In Moskau entwickelte der Wissenschaftler Victor Komar schon 1976 das erste holografische kinematografische System. Er verwendete Objektive zur Aufnahme der bewegten Bilder sowie spezielle Projektoren mit Quecksilberdampflampen und eine holografische Leinwand.14 Seinen ersten 47 Sekunden langen Film konnten vier Betrachter gleichzeitig sehen. Er zeigt eine junge Frau mit einem Blumenstrauß (Abb.6) und konnte in vier Dimensionen (den drei Dimensionen des Raums und der zusätzlichen der Zeit) mit bloßen Augen wahrgenommen werden. Dies entspricht zwar der üblichen Betrachtungsweise von Filmen, allerdings mit dem Unterschied, daß der Betrachter sich hier bewegen kann, um räumliche Details der Szene genauer wahrzunehmen. Komars erster holografischer Farbfilm mit einer Dauer von 5 Minuten entstand 1984. Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten des analogen und digitalen Films macht der holografische Film freilich sehr kleine Schritte. Andererseits wurden seit 1989 am MediaLab Forschungen zum holografischen Video erfolgreich weitergeführt.15 Einige Prototypen wurden hergestellt, die jedoch nur Themen zum Gegenstand haben, an denen die Sponsoren wie die Autoindustrie Interesse hat.

Neue Technologien eröffnen zweifellos bisher nicht vorhandene Möglichkeiten für Künstler. Doch nicht die Technologie allein bestimmt, in welche Richtung sich die Bildende Kunst entwickeln wird. Während die Fotografie mehr als ein Jahrhundert auf die Anerkennung als künstlerisches Medium warten mußte, verlief der Akzeptanzprozeß der Videokunst schon wesentlich schneller. Die Holografie wird ebenso von der Zeit profitieren und sich eines Tages als künstlerisches Werkzeug etabliert haben.

Die Diskussionen um das Medium als Kunstform werden dann vergessen sein, und man wird sich der Arbeit der einzelnen Künstler ohne prinzipielle Vorbehalte zuwenden können. Was den holografischen Film betrifft, sind dessen Zukunftsaussichten schwer bestimmbar. Bisherige Voraussagen über die Zukunft des holografischen Kinos haben sich schon zu oft als falsch erwiesen. Deshalb ist der Versuch, die künstlerische Reife dieser Technologie vorherzusagen, lediglich aussichtslose Rhetorik. Doch auch die Gebrüder Lumière ließen sich die Errungenschaften eines Sergei Eisenstein, Orson Welles oder Alain Resnais nicht erträumen. (Übersetzung: Dieter Borgstedt)

Anmerkungen

1 Vgl. z.B. Charles Hagen: Holograms. The Defense Resumes, in: The New York Times, 29.11.1991 und John Fischer: Some New Problems in Perspective, in: Andrew Harrison (Hrsg.): Philosophy and the Visual Arts, D. Reisel Verlag, S. 303-316

2 Vgl. Tulla Lightfoot: Contemporary Art-World Bias in Regard do Display Holography, in: Leonardo, Bd. 22, Nr. 3/4, 1989, S. 419-423; René Paul Barilleaux: Holography and the Art World, in: Leonardo, Bd. 25, Nr. 5, 1992. S. 417f und Sarah Maline: Eluding the aegis of science. Art holography on its own, in: International Symposium on Display Holography, Society of PhotoInstrumentation Engineering (SPIE), Bd. 1600, 1991, S. 215-219

3 Ausführlicher dazu Eduardo Kac: On Holography, in: Ross Harley (Hrsg.): New Media Technologies, AFTRS, New South Wales, 1993, S. 122-139; ders.: Aesthetics and Representation in Holography, in: SPIE, Bd. 2333, 1995, S. 123-137 und ders.: Holopoetry and Fractal Holopoetry. Digital Holography as an Art Form, in: Leonardo, Bd. 22, Nr 3/4, 1989, S. 397-402; ders.: Holopoetry, Hypertext, Hyperpoetry, in: SPIE, Bd. 2043, 1993, S. 72-81

4 Gene Youngblood: Cinema and the Code, in: Leonardo, Sonderheft ACM Siggraph, Computer Art in Context, 1989, S. 27

5 Dean Randazzo: A Discussion of Two Holograms. Pasqualina and Trace, in: Leonardo, Bd. 25, Nr. 5, 1992, S. 493-495 und ders.: Loss and Recovery. Some thoughts on the nature of my holographic art, in: SPIE, Bd. 2043, 1993, S. 98-100

6 Vgl. Rudie Berkhout: Holography. Exploring a new art realm - Shaping empty space light, in: Leonardo, Bd.22, Nr. 3/4, 1989, S. 313-316

7 Vgl. Paul Newman: Holography and computer graphics. A marriage of conveniance? in: SPIE, Bd. 2043, 1993, S. 123-125

8 Vgl. Vito Orazem: Holography as a material for light. Radical Holography, in: SPIE, Bd. 1600, 1992, S. 160-165 und ders.: Holography as an element of the media architecture, in: SPIE, Bd. 2333, 1995, S. 168-177

9 Vgl. Emmeth Leith und Juris Upatnieks, in: Journal of the Optcial Society of America, Bd. 53, 1963, S. 1377 und Bd. 54, 1964, S. 1295. Zur Entwicklung des holografischen Films siehe auch A.D. Jaconson u.a.: Motion Picture Holography, in: Applied Physics Letters, Bd. 14, 1969, S. 120-122: Gene Youngblood: Expanded Cinema, New York 1970, S. 399-414; Paul Smigielski u.a.: Progress in Holographic Cinematography, in: SPIE, Bd. 600, 1985, S. 186-193

10 Lise Bloch-Morhange: Cinéma en relief. L’Aventure de la cinéholographie continue ..., in: Le Monde, 13.7.1985; siehe auch das dem Katalog Les Immateriaux, Centre Georges Pompidou, Paris 1985, beigelegte Blatt “Profondeur Simulée”.

11 Für die Entwicklung des Multiplexhologramms kombinierte der kalifornische Wissenschaftler Cross drei holografische Techniken: das Stereogramm, das 1969 von DeBitteto perfektioniert wurde, das Regenbogen-Hologramm, das Benton 1968 entwickelte, und das 360° Hologramm, das Jeong 1967 in vereinfachter Form realisierte. Vgl. Lloyd und Cecil Cross: HoloStories. Reminiscences and a Prognostication on Holography, in: Leonardo, 1992, Bd. 25, Nr. 5, S.421-424

12 Alexander: Development of integral holographic motion pictures, in: SPIE, Bd. 2333, 1995, S. 187-197

13 Vgl. Kazuhito Higuchi, Jun Ishikawa u. Shigeo Hiyama: Holographic movie. The first step to holographic video, in: SPIE, Bd. 1667, 1992, S.44-51, siehe auch SPIE Proc., Bd. 1914, 1993, S.197-205; SPIE Proc., Bd. 2176, 1994, S.57-64 und SPIE Proc., Bde. 2406-2403, 1995

14 Vgl. Victor Komar: Progress on the Holographic Movie Process in the USSR, in: SPIE, Bd. 120, 1977,S. 127-144; ders.: Holographic Movie System in the USSR, in: Holosphere, Bd. 15, Nr. 2, Sommer 1987, S. 9-11 und ders.: Works on the Holographic Cinematography in the USSR, in: SPIE, Bd. 1183, 1990, S. 170-182

15 Vgl. zu der Entwicklung holografischer Videos am Media Lab des MIT P.St.-Hilaire, S. Benton, M. Lucente u.a.: Advances in holographic video, in: SPIE Proc., Bd. 1914, 1993 sowie SPIE Proc, Bd. 1667, 1992; SPIE Proc. Bd. 1732, 1992. Zur interaktiven Holografie siehe Mark Lucente u. Tinsley A. Galyean: Rendering interactive Holographic images, in: Siggraph ‘95, Technical Proceedings, New York 1995.


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