Originally published in TAKEOVER - Who's doing the art of tomorrow?/Wer macht die Kunst von morgen?, Gerfried Stocker and Christine Schopf, eds. (Vienna: Springer Verlag, 2001), pp. 125-131.


BIOKUNST: PROTEINE, TRANSGENIK UND BIOBOTER


Eduardo Kac

Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten lote ich in meiner Arbeit die Grenze zwischen Menschen, Tieren und Robotern aus [1]. Die transgene Kunst kann somit als eine logische Weiterentwicklung meiner früheren Arbeiten betrachtet werden. In meinen seit 1986 entwickelten Telepräsenzarbeiten leben Menschen mit Menschen und Tieren in telerobotischen Körpern zusammen. In den biotelematischen Arbeiten, die ich seit 1994 entwickle, sind Biologie und Networking nicht mehr nur gleichzeitig präsent, sondern miteinander zu einem Hybrid aus Lebendem und Telematischem verbunden. Und in meinen transgenen Projekten, an denen ich seit 1998 arbeite, lassen sich Belebtes und Technologisches schließlich nicht mehr unterscheiden. Diese sich immer noch weiterentwickelnde Arbeit hat bestimmte gesellschaftliche Implikationen, die mehrere Disziplinen betreffen und Stoff für weiterführende Überlegungen und Diskussionen bieten.

Angesichts der ständigen Weiterentwicklung und Verzweigung der transgenen Kunst scheint als Einführung in die neuen Entwicklungen ein kurzer Überblick über die letzten drei Jahre angebracht.

Den Begriff "transgene Kunst" führte ich 1998 in einem manifestartigen Artikel desselben Titels [2] ein, in dem ich die Schaffung (und soziale Integration) eines Hundes vorschlug, der ein grün-fluoreszierendes Protein exprimieren sollte. Die ersten öffentlichen Reaktionen auf diesen Artikel waren eine Mischung aus Neugierde und Ungläubigkeit. Die Sache ist absolut durchführbar, aber kaum jemand schien zu glauben, dass ich das Projekt auch wirklich realisieren könnte oder wollte. Bei meiner schwierigen Suche nach Institutionen, die mich bei der Realisierung dieses Projekts mit dem Titel *GFP K-9* hätten unterstützen können, wurde mir auch klar, dass die kanine Reproduktionstechnologie noch nicht weit genug entwickelt war, um die Schaffung eines Hundes zu ermöglichen, der ein grün-fluoreszierendes Protein exprimiert. Mittlerweile hatte ich begonnen, ein neues transgenes Kunstwerk mit dem Titel *Genesis* zu entwickeln, das erstmals auf der Ars Electronica 99 vorgestellt wurde [3].

Das transgene Kunstwerk *Genesis* untersucht die verschlungenen Beziehungen zwischen Biologie, Glaubenssystemen, Informationstechnologie, dialogischer Interaktion, Ethik und Internet. Hauptelement der Arbeit ist ein "Künstler-Gen", ein von mir kreiertes synthetisches Gen, das durch die Übertragung eines Satzes aus dem Buch *Genesis* in den Morsecode und die Umwandlung des Morsecodes in DNA-Basenpaare nach einem speziell dafür entwickelten Konvertierungsprinzip entstand. Der Satz lautet: "Lasst den Menschen herrschen über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und über alle Lebewesen auf dem Land." Ich wählte ihn, weil er für dubiose Vorstellungen über eine (von Gott sanktionierte) Herrschaft des Menschen über die Natur und deren Implikationen steht. Für den Morsecode entschied ich mich, weil er als Erster in der Radiotelegrafie verwendet wurde und damit für den Beginn des Informationszeitalters, die Genesis der globalen Kommunikation steht. Das *Genesis*-Gen wurde in Bakterien eingeschleust, die dann beim Festival Ars Electronica ausgestellt wurden. Über das Internet konnten TeilnehmerInnen eine ultraviolette Lichtquelle in der Galerie einschalten, womit sie reale biologische Mutationen in den Bakterien hervorriefen. Damit veränderten sie den Bibelvers in den Bakterien. Nach Ende der Ausstellung wurde die DNA wieder in Morsecode und von diesem ins Englische rückübertragen. Die Mutationen in der DNA hatten auch den Originalsatz aus der Bibel verändert. Der mutierte Satz wurde auf der *Genesis*-Website veröffentlicht. Diese Veränderbarkeit des Satzes ist im Kontext dieser Arbeit eine symbolische Geste: Sie bedeutet, dass wir die überlieferte Bedeutung des Satzes nicht akzeptieren und dass neue Bedeutungen entstehen, wenn wir ihn zu verändern suchen.

Während der Ausstellung von *Genesis* bei der Ars Electronica 99 hielt ich auch einen öffentlichen Vortrag im Rahmen des "Life Science"-Symposions. Im Zentrum meines Vortrags stand die Idee für den *GFP K-9*. Um den Kontext meiner Arbeit zu verdeutlichen, gab ich einen Überblick über die lange Geschichte der Domestizierung des Hundes und der Partnerschaft zwischen Mensch und Hund, wobei ich auf den bis heute anhaltenden starken Einfluss des Menschen auf die Evolution des Hundes hinwies. Obzwar einige die Arbeit schätzten und unterstützten, sprachen sich viele deutlich gegen dieses Projekt aus. Damit war der Boden für einen überaus produktiven Dialog bereitet, was einer meiner ursprünglichen Intentionen entsprach. Die Debatte muss meiner Meinung nach über offizielle Entscheidungsträger und die akademische Forschung hinausgehen und die Allgemeinheit einschließen, u.a. auch die Künstler. Der *GFP K-9* wurde in Kunstjournalen, Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften diskutiert. Selbst Tageszeitungen und Wochenmagazine beschäftigten sich mit diesem Work-in-Progress. Während sich die Fachpublikationen stärker für den *GFP K-9* erwärmten, reichten die Reaktionen in den allgemeinen Medien von unverhohlener Ablehnung über Erörterungen der vielfältigen Implikationen bis zu klarer Zustimmung.

Dasselbe Reaktionsmuster wiederholte sich dann in einem wahrhaft gobalen Maßstab, als ich im Jahr 2000 meine zweite transgene Arbeit, das *GFP-Bunny*, ankündigte. Diese Arbeit umfasst die Schaffung eines grünfluoreszierenden Kaninchens ("Alba"), die vom Projekt ausgelöste öffentliche Diskussion und die soziale Integration des Tiers. Die Arbeit wurde mit Unterstützung von Louis Bec und Louis-Marie Houdebine realisiert. In meinem Artikel *GFP Bunny* [4] stellte ich fest: "Transgene Kunst ist eine neue Kunstform, bei der mithilfe von Genmanipulationen einzigartige Lebewesen geschaffen werden. Dies muss mit großer Sorgfalt, unter Berücksichtigung der dadurch aufgeworfenen komplexen Probleme und vor allem mit Respekt, Fürsorge und Liebe für das so geschaffene Leben geschehen."

*GFP Bunny* erregte die Aufmerksamkeit der südfranzösischen Lokalmedien, als sich der frühere Direktor des Instituts, an dem "Alba" zur Welt kam, den am Projekt arbeitenden WissenschaftlerInnen widersetzte und sich weigerte, mich Alba zu meiner Familie in Chicago mitnehmen zu lassen. Diese willkürliche Entscheidung wurde von einem Einzelnen privat in der Isolation seines Büros gefällt. Der Grund für seine Weigerung wurde nie genannt und ist bis heute nicht bekannt. Wenn es darum gegangen sein sollte, die Medien zum Schweigen zu bringen, dann ging der Schuss jedenfalls nach hinten los. *GFP Bunny* wurde nach einer Titelgeschichte im *Boston Globe* zu einem globalen Medienskandal[5]. In allen großen Ländern erschienen Artikel über Alba, und Agenturen verbreiteten die Nachricht auf der ganzen Welt [6]. Unter anderem war Alba auch auf der Titelseite von *Le Monde* und des *San Francisco Chronicle*, und *Der Spiegel* und die *Chicago Tribune* widmeten ihm ganzseitige Berichte. Sendungen von ABC-TV, BBC Radio und Radio France trugen ebenfalls dazu bei, die Nachricht auf dem ganzen Planeten zu verbreiten. Von Mitte 2000 bis Mitte 2001 gab es gleich bleibend heftige und faszinierte Reaktionen auf Alba, mit ebenso starker Gegnerschaft wie Unterstützung. Im "Alba Guestbook" wurden seit 15. Oktober 2000 allgemeine Meinungen zur Arbeit sowie Unterstützungserklärungen für eine Heimführung Albas gesammelt [7]. Durch Vorträge, Symposien und E-Mail-Korrespondenz intensivierte sich die Debatte noch, wurde fruchtbarer, subtiler, nuancierter – genau so, wie ich es erhofft hatte. Die Reaktionen auf *GFP Bunny* bilden eine äußerst reichhaltige Materialsammlung, die ich in naher Zukunft neu aufzuarbeiten hoffe.

Als Teil meines interkontinentalen Fürsorgerechtsstreits um Alba führte ich vom 3. bis 13. Dezember 2000 in Paris eine öffentliche Campagne mit Vorträgen, TV- und Radiosendungen, öffentlichen und privaten Versammlungen und der Affichierung einer sechsteiligen Plakatserie [Abb. 1] durch. Ich platzierte die einzelnen Plakate in verschiedenen Vierteln von Paris, u. a. Le Marais, Quartier Latin, Saint Germain, Champs de Mars, Bastille, Montparnasse und Montmartre. Die Plakate gehen auf einige von *GFP Bunny* nahe gelegten Interpretationen ein (Abb. 2 bis 7). Sie zeigen alle dasselbe Bild von Alba und mir und sind jeweils mit einem anderen französischen Wort überschrieben: ART, MEDIAS, SCIENCE, ETHIQUE, RELIGION, FAMILLE [8]. Ich affichierte diese Poster zwischen dem 3. und 13. Dezember parallel zu den Radio- (Radio France und Radio France Internationale), Presse- (*Le Monde*, *Libération*, *Transfert*) und Fernsehinterviews und -diskussionen, um in die öffentliche Meinung in Frankreich einzugreifen und Unterstützung für die Heimholung Albas zu gewinnen. Durch eine Vortragsserie (Sorbonne, École Normale Supérieure, École Supèrieure des Beaux Arts, Forum des Images) und durch Gespräche mit Passanten, die durch das Medieninteresse ausgelöst wurden, trat ich auch direkt mit der Öffentlichkeit in Kontakt. Insgesamt erreichte ich annähernd 1,5 Millionen Menschen (etwa die Hälfte der Pariser Bevölkerung). Dies war für mich ein wichtiger Schritt, weil ich die Pariser Öffentlichkeit so direkt ansprechen konnte. Ich werde weiter an neuen Strategien zu Albas Befreiung arbeiten.

Parallel zu diesen Bemühungen entwickelt sich die transgene Kunst weiter. Eine neue Richtung führt zur Schaffung dreidimensionaler Nanostrukturen aus Aminosäuren. Diese "proteische Kunst" bzw. "Proteinkunst" ist in vielen Formen erlebbar – in vivo, in vitro und ausgeweitet auf größere Settings wie Rapid-Prototyping-Modelle und Online-Navigationsräume. Eine zweite Richtung führt zu komplexen, interaktiven transgenen Umgebungen mit multiplen Organismen und Biobotern (teils durch interne transgene Mikroorganismen gesteuerte biologische Roboter). Im Folgenden werden diese Entwicklungen erörtert.

PROTEINE ALS KUNST

Ging es in der ersten Phase von *Genesis* vor allem um die Schaffung und Mutation eines synthetischen Gens durch Webpartizipation, so lag der Schwerpunkt der 2000/2001 durchgeführten zweiten Phase auf dem vom synthetischen Gen produzierten Protein, dem *Genesis*-Protein [9], und auf neuen Arbeiten, die sich mit den kulturellen Implikationen von Proteinen als Fetischobjekten auseinandersetzen.

Eine kritische Haltung wird im gesamten *Genesis*-Projekt darin sichtbar, dass es mit genauen wissenschaftlichen Methoden die reale Produktion und Visualisierung eines von mir erfundenen Gens und Proteins betreibt, die biologisch absolut funktions- und somit wertlos sind. Statt wissenschaftliche Prinzipien zu erklären oder zu illustrieren, kompliziert und verdunkelt das *Genesis*-Projekt vielmehr die extrem vereinfachenden und reduktionistischen molelularbiologischen Beschreibungen von Lebensvorgängen und führt wieder eine soziale und historische Dimension in die Debatte ein. In seinen genomischen und proteomischen Manifestationen enthüllt das *Genesis*-Projekt laufend neue Bedeutungen und Möglichkeiten.

Proteinproduktion ist ein fundamentaler Bestandteil des Lebens. Rund um die Welt konzentrieren sich darum zahlreiche Forschungszentren auf die Sequenzierung, Ordnung und Analyse der Genome einfacher wie komplexer Organismen, von Bakterien bis zum Menschen. Nach der Genomik (dem Studium der Gene und ihrer Funktionen) kommt die Proteomik (das Studium der Proteine und ihrer Funktionen). Die Proteomik, die wichtigste Forschungsaufgabe der Molekularbiologie in der postgenomischen Welt, beschäftigt sich vor allem mit der Visualisierung der durch sequenzierte Gene hervorgebrachten dreidimensionalen Proteinstrukturen. Sie interessiert sich aber auch für die Struktur und Funktionalität dieser Proteine und für viele andere wichtige Aspekte wie die Ähnlichkeit von Proteinen aus unterschiedlichen Organismen. Die zweite Phase von *Genesis* untersucht kritisch die Logik, Methodik und Symbolik der Proteomik sowie ihr Potenzial als Feld der Kunstproduktion.

Um das *Genesis*-Protein zu visualisieren, untersuchte ich zuerst gewisse Aspekte seiner zweidimensionalen Struktur: seine Hydrophilie und Hydrophobie [10]. Membranen erweisen sich in einer wasserreichen Umgebung als wasseranziehend oder -abstoßend. Die Interaktion mit Wasser hängt von der materiellen Zusammensetzung der Membran und der entsprechende Oberflächenchemie ab. Dieses Phänomen wird als "Hydrophilie" (Wasseranziehung) und "Hydrophobie" (geringe oder gar keine Wasserabsorption) bezeichnet. Als Nächstes galt es, das antizipierte Faltungsmuster des Genesisproteins mit dem eines anderen, ihm ähnlichen Proteins, nämlich Chorion, zu vergleichen. Die Recherche in der Datenbank des National Center for Biotechnology Information (die alle bekannten Proteine sämtlicher katalogisierter Lebensformen enthält) ergab, dass die angenommene Struktur des Genesisproteins funktional mit dem Chorionprotein der *Ceratitis capitata* (der mediterranen Fruchtfliege) verwandt ist, da es ihm zu 39 Prozent ähnelt. Die Übereinstimmung (strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Genesis- und dem Chorionprotein) ist im Kontext von *Genesis* insofern von besonderem Interesse, weil Chorion die
Membran bildet, die in erster Linie als Schutzhülle für einen sich entwickelnden Embryo dient.

Um zu einer greifbaren Abbildung der Nanostruktur des Genesisproteins zu kommen, suchte ich in der vom Research Collaboratory for Structural Bioinformatics (RCSB) betriebenen Proteindatenbank nach Faltungshomologien. Dann erstellte ich eine digitale Visualisierung der dreidimensionalen Struktur des Genesisproteins [11]. Aus diesem dreidimensionalen Datensatz stellte ich schließlich sowohl ein digitales als auch ein physisches Modell des Proteins her. Die digitale Version ist ein voll navigierbares Webobjekt, das sowohl im VRML- (Virtual Reality Modeling Language) als auch im PDB- (Protein Data Bank) Format gerendert wurde, damit man seine komplexe volumetrische Struktur [Abb. 8] eingehend besichtigen kann. Die physische Darstellung ist ein kleines, mittels Rapid Prototyping geschaffener Festkörpermodell, das die Fragilität dieses Molekularobjekts greifbar zeigt [12]. Dieses Objekt diente als Gussform für die Endversion des Proteins, mit dessen Hilfe dann die *Transcription Jewels* geschaffen wurden.

*Transcription Jewels* [Abb. 9] besteht aus zwei Objekten in einem eigens gefertigten runden Holzschächtelchen. Als Transkription bezeichnet man in der Biologie den Prozess, bei dem die genetische Information von DNA in RNA "transkribiert" wird. Eines der "Juwelen" ist eine zwei Inch große Dschin-Flasche aus durchsichtigem Glas mit Goldornamenten, die 65 Milligramm reine *Genesis*-DNA enthält. "Rein" heißt, dass unzählige Kopien der DNA aus den Bakterien, in denen sie erzeugt und gesammelt wurden, isoliert und in einer Phiole gefiltert wurden. Das Gen wird hierbei außerhalb des Körper gesehen, seine Bedeutung absichtlich auf das Formale reduziert, um zu zeigen, dass das "kostbare" Gen ohne die lebenswichtige Rolle des Organismus und der Umwelt "wertlos" sein kann. Das zweite "Juwel" ist ein ebenso großer goldener Abguss der dreidimensionalen Struktur des Genesisproteins. Durch die Darstellung der emblematischen Elemente der biotechnischen Revolution (des Gens und des Proteins) als begehrte Wertgegenstände kommentiert *Transcription Jewels* ironisch den zunehmende Warenförmigkeit der kleinsten Bestandteile des Lebens. Weder des reine Gen in "Transciption Jewels" noch sein Protein stammen von einem natürlichen Organismus, sondern wurden speziell für *Genesis* kreiert. Statt eines "Dschin" enthält die Flasche das neue Allheilmittel des Gens. Das in dem Miniaturfläschchen versiegelte isolierte Gen verspricht nicht, irgendwelche Wünsche nach Unsterblichkeit, Schönheit und Intelligenz zu erfüllen. Der Umstand, dass die "wertvolle Ware" jeder realen, praktischen Verwendbarkeit in der Biologie entbehrt, gibt der Ironie eine kritisch-humorvolle Wendung.

Sämtliche oben beschriebenen Arbeiten, einschließlich des Netzprojekts mit lebenden Bakterien, wurden vom 4. Mai bis 2. Juni 2001 in der Julia Friedman Gallery in Chicago in meiner Einzelausstellung *Genesis* präsentiert. Die vielfachen Mutationen, die die Bakterien biologisch und die Bilder, Texte und Systeme, aus denen die Ausstellung besteht, grafisch durchlaufen, belegen, dass die vermeintliche Vorherrschaft des so genannten "Master-Moleküls" fragwürdig ist. Das *Genesis*-Projekt macht deutlich, dass "Leben" nicht mehr nur ein rein biochemisches Phänomen ist. Vielmehr behauptet es, dass wir das Leben als ein komplexes System an der Schnittstelle zwischen Glaubenssystemen, ökonomischen Prinzipien, Rechtsparametern, politischen Direktiven, wissenschaftlichen Gesetzen und kulturellen Konstrukten betrachten müssen.

THE EIGHTH DAY – EINE TRANSGENE NETZINSTALLATION

*The Eighth Day* ist eine transgene Arbeit, die die weltweit entstehende neue Ökologie fluoreszierender Lebewesen untersucht (Abb. 10). Ich entwickelte diese Arbeit von 2000 bis 2001 am Institute for Studies in the Arts an der Arizona State University, Tempe [13]. Obgleich fluoreszierende Lebewesen isoliert in Laboratorien entwickelt werden, bilden sie kollektiv gesehen ein neu entstehendes synthetisches bioluminiszentes System. In einem abgeschlossenen Environment unter einer durchsichtigen Plexiglaskuppel vereint diese Arbeit lebendige transgene Lebensformen mit einem biologischen Roboter (Bioboter) und macht so sichtbar, was passieren würde, wenn diese Lebewesen tatsächlich in unserer Welt mit uns zusammenleben würden.

*The Eighth Day* zeigt eine Ausweitung der Biodiversität über die wild gewachsenen Lebensformen hinaus. Es ist ein abgeschlossenes künstliches Ökosystem, in dem die Titelworte widerhallen, die an die judäo-christliche Schöpfungsgeschichte einen weiteren Tag anhängen. Alle transgenen Lebewesen in *The Eighth Day* sind durch das Klonen eines Gens entstanden, das die Produktion grünfluoreszierenden Proteins (GFP) kodiert. Daher exprimieren alle Lebensformen das Gen durch eine mit freiem Auge sichtbare Bioluminiszenz. Die transgenen Lebewesen in *The Eighth Day* umfassen GFP-Pflanzen, GFP-Amöben, GFP-Fische und GFP-Mäuse (Abb. 11 und 12).

Ein Bioboter ist ein Roboter mit einem aktiven biologischen Körperbestandteil, der für Aspekte seines Verhaltens verantwortlich ist. Der für *The Eighth Day* geschaffene Bioboter [Abb. 13 bis 15] hat als "Gehirnzellen" eine Kolonie von GFP-Amöben namens *Dyctiostelium discoideum*. Diese "Gehirnzellen" bilden ein Netzwerk in einem Bioreaktor, das die "Gehirnstruktur" des Bioboters darstellt. Wenn sich die Amöben teilen, weist der Bioboter im geschlossenen Environment ein dynamisches Verhalten auf. Veränderungen in der Amöbenkolonie (den "Gehirnzellen") des Bioboters werden dadurch abgelesen und lassen ihn während der gesamten Ausstellung langsam ansteigen und absinken oder sich umherbewegen. Die Aufwärts- bzw. Abwärtsbewegung wird zu einem visuellen Zeichen für die Zunahme bzw. Abnahme der Amöbenaktivität. Der Bioboter fungiert auch als Avatar für die WebteilnehmerInnen innerhalb der Enviroments. Unabhängig vom Ansteigen und Absinken des Bioboters können WebteilnehmerInnen sein audiovisuelles System auch mit einem Schwenk-/Neigekopf steuern. Die autonome Aufwärts- und Abwärtsbewegung vermittelt WebteilnehmerInnen eine neue Ansicht des Environments.
Der Bioboter hat eine biomorphe Form, und das "Amöbengehirn" ist durch den transparenten Bioreaktor sichtbar. Im Ausstellungsraum sehen die BesucherInnen das Terrarium mit den transgenen Lebewesen sowohl von außen als auch von innen, weil ihnen ein Computer in der Galerie genau vermittelt, wie das Ganze über Internet zu erleben ist. Dadurch, dass TeilnehmerInnen das Enviroment von innen, aus der Perspektive des Bioboters erleben können, schafft *The Eighth Day* einen Kontext, in dem diese in der ersten Person darüber nachdenken können, was transgene Ökologie bedeutet.

Fazit

Die Gentechnik wird zweifellos weiterhin tief greifende Auswirkungen auf die Kunst wie auch auf soziale, medizinische, politische und wirtschaftliche Lebensbereiche haben. Mein Interesse als Künstler gilt der Reflexion über die vielfältigen sozialen Auswirkungen der Genetik, vom unakzeptablen Missbrauch bis zu den hoffnungsvollen Versprechungen, vom Begriff des "Codes" bis zur Übersetzungsfrage, von der Gensynthese bis zum Mutationsprozess, von der Metaphorik der Biotechnologie bis zur Fetischisierung von Genen und Proteinen, von simplen, reduktiven Darstellungen bis zu komplexen, auch Umwelteinflüsse berücksichtigenden Sichtweisen. Die dringende Aufgabe besteht darin, die impliziten Bedeutungen der biotechnologischen Revolution auszupacken und – durch Kunst – zur Schaffung alternativer Sichtweisen beizutragen, auf dass wir die Sprache der Genetik erweitern und allgemeiner zugänglich machen.

ANMERKUNGEN

1. Dobrila, Peter Tomaz; Kostic, Aleksandra (Hrsg.): *Eduardo Kac: Telepresence, Biotelematics, Transgenic Art*, KIBLA, Maribor, Slovenien 2000. Mit Texten von: Annick Bureaud, Edward A. Shanken, Christiane Paul, Aleksandra Kostic, Suzana Milevska, Machiko Kusahara, Gerfried Stocker, Steve Tomasula, Eduardo Kac. Vgl. auch: <http://www.ekac.org>.
2. Kac, E.: "Transgene Kunst", in: *Leonardo Electronic Almanac*, Jg. 6, Nr. 11, 1998. Auch unter: <http://www.ekac.org/transgenic.html>. Wiederveröffentlicht in Gerfried Stocker und Christine Schopf (Hrsg.), Ars Electronica 99 – Life Science, Wien, New York: Springer 1999, S. 296 - 303.
3. Kac, E.: "Genesis", in: Stocker, G.; Schöpf, Ch. (Hrsg.), Ars Electronica 99 – Life Science, Wien, New York: Springer 1999, S. 312f. Auch unter: <http://www.ekac.org/geninfo.html>. *Genesis* wurde mit Unterstützung von Dr. Charles Strom, dem früheren Leiter der Abteilung für medizinische Genetik am Illinois Masonic Medical Center ausgeführt. Dr. Strom ist heute medizinischer Leiter am Biochemical and Molecular Genetics Laboratories Nichols Institute/Quest Diagnostics in San Juan Capistrano, Kallifornien. Die Original-DNA-Musik für *Genesis* wurde von Peter Gena komponiert.
4. Kac, E. *GFP Bunny*, in: Dobrila, Peter T.; Kostic, Aleksandra (Hrsg.): *Eduardo Kac: Telepresence, Biotelematics, and Transgenic Art*, S. 101-131. Auch unter: <http://www.ekac.org/gfpbunny.html>.
5. Cook, Gareth: "Cross hare: hop and glow", in: *Boston Globe*, 17. September 2000, S. A01
6. Siehe http://www.ekac.org/transartbiblio.html für eine Bibliografie zur transgenen Kunst
7. http://sprocket.telab.artic.edu/ekac/bunnybook.html
8. Die Plakate wurden auch in zwei Galerieausstellungen gezeigt: Dystopia + Identity in the Age of Global Communications, kuratiert von Cristine Wang, Tribes Gallery, New York, 2000, und Under the Skin, kuratiert von Söke Dinkla, Renate Heidt Heller and Cornelia Brueninghaus-Knubel, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg, 2001. Vgl. auch: Under the Skin, Ausstellungskatalog, Ostfilden-Ruit: Hatje Cantz Verlag 2001.
9. In Wirklichkeit "produzieren" Gene keine Proteine. Richard Lewontin stellt eindeutig klar: "Die DNA-Sequenz bestimmt nicht das Protein, sondern nur die Aminosäuresequenz. Das Protein ist lediglich eine von mehreren energiefreien Faltungen derselben Aminosäurenkette, und welche dieser Faltungen eintritt, hängt vom Zellmilieu in Verbindung mit dem Translationsprozess ab." Vgl. R. C. Lewontin: "In the Beginning Was the Word", in: *Science*, Jg. 291. 16. Februar 2001, S. 1264.
10. Mit besonderem Dank an Dr. Murray Robinson, Leiter des Krebsprogramms in Amgen, Thousand Oaks, Kalifornien.
11 Die Proteinvisualisierung wurde mit Unterstützung von Charles Kazilek und Laura Eggink vom BioImaging Laboratory, Arizona State University, Tempe durchgeführt.
12 Das Rapid Prototyping wurde mit Unterstützung von Dan Collins und James Stewart vom Prism Lab, Arizona State University, Tempe durchgeführt.
13 Das *Eighth Day*-Team: Richard Loveless, Dan Collins, Sheilah Britton, Jeffery (Alan) Rawls, Jean Wilson-Rawls, Barbara Eschbach, Julia Friedman, Isa Gordon, Charles Kazilek, Ozzie Kidane, George Pawl, Kelly Phillips, David Lorig, Frances Salas und James Stewart. Dank auch an Andras Nagy, Samuel Lunenfeld Research Institute, Toronto; Richard Firtel, University of California, San Diego; Chi-Bin Chien, University of Utah, Salt Lake City, und Neal Stewart, University of North Carolina at Greensboro. *The Eighth Day* wurde während eines zweijährigen Arbeitsstipendiums am Institute of Studies in the Arts, Arizona State University, Tempe, entwickelt. Ausstellungsdaten: 25. Oktober bis 14. Dezember 2001. Ausstellungsort: Computer Commons Gallery, Arizona State University, Tempe (mit Unterstützung des Institute of Studies in the Arts). Live-Link und Dokumentation unter: http://www.ekac.org/8thday.html.


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